Hallöchen und ein frohes Wochenende. Nachdem ich es bereits in den Jahren 2008 und 2009 versäumt habe, einen ordnungsgemäßen Bericht über die besuchten, durchaus großartigen Rainald Grebe Konzerte abzuliefern, will ich das heute aber nun wirklich einmal nachholen. Stieg ich vor zweieinhalb Jahren noch auf Basis von „Brandenburg“ und „Thüringen“ recht unvorbereitet in den rasend verqueren Kleinkunstzug des Herrn Grebe ein und suchte mir ausgerechnet Jena, wo der Kerl wie ein Messias verehrt wird, für das erste Konzert aus, gings 2009 dann gediegen mit meiner Mutter in die Stadthalle Chemnitz. Aus Open-Air mit T-Shirt und Kösti in der Abendsonne wurde Sitzplatzevent mit Rotweinglas. Aus Kartenschnorren vor dem Eingang der Kulturarena wurde ein nach erfolgreichem Vorverkauf planbarer, entspannter Konzertabend.
2011 also befand sich der Rainald wieder auf Tour, eigentlich keine Frage, daß ich mir da schnellstmöglich (nämlich noch 2010) die Billets sicherte. Wieder Chemnitz, wieder die Stadthalle. Aus der Kapelle wurde das Orchester der Versöhnung, aus 30 wunden 40 Euro Eintrittspreis. Aber gut investierte 40 Euronen, wie man dazu sagen sollte. Also kurzerhand noch eine Freundin in die Veranstaltung rein gequatscht („gefällt dir bestimmt…“) und dann bei Eventim zwei noch verfügbare, gute Sitzplätze geordert. Während die Karten an meiner Magnetpinwand vor sich hin reiften und Gesellschaft von Foo Fighters – Tickets für Berlin bekamen (YEAH!!! Ich habe welche, ÄÄÄÄÄTSCH!), sickerte so langsam das neue Programm von Rainald durch. Im Fernsehen stellte er „Oben“ vor und durchs Internet geisterte das Video zu „Prenzlauer Berg“. Das Album dazu wurde natürlich auch veröffentlicht und der 19.02.2011 rückte immer näher. Ich für meinen Teil griff zur bewährten Taktik, dem neuen Material weitgehend aus dem Weg zu gehen. „Oben“ und „Prenzlauer Berg“ gönnte ich mir dann, aber mehr auch nicht. Im Nachhinein eine sehr gute Entscheidung, so hatte man den Appetizer, wurde aber dennoch pausenlos überrascht.
Am Tag des Konzerts warf ich mich dann also zunächst in halbwegs ordentliche Klamotten, warf Retro-Krawatte und Jackett über und wir trafen uns zunächst in einer gemütlichen Viererrunde auf einen gepflegten Gerstensaft im Turmbrauhaus um uns ein wenig auf den Abend einzustimmen und eine Kleinigkeit zu essen. Zeitnah schlenderten wir dann hinüber zur Stadthalle, wo wir nach kurzer Besichtigungsrunde alsbald unsere Plätze im großen Saal einnahmen. Bereits auf den ersten Blick wirkte der Bühnenaufbau zwar gewohnt minimalistisch mit einem Charme irgendwo zwischen Hobbykeller und Grillfest im Kleingärtnerverein (ich erinnere nur an die Lichtgirlanden über unseren Köpfen), war aber deutlich aufwändiger als bei den bisherigen beiden Konzerten. Pünktlich gegen 20:00 Uhr erlosch dann auch das Licht im Saal und, wie üblich, begann die Vorstellung mit einem Mätzchen. Eine Art Geistergestalt schob eine Art Teleskopalphorn ins Publikum während ein Knispel nebst Geige am linken Bühnenrand Platz nahm. Nach und nach füllten sich die Instrumente auf der Bühne und schließlich brachte es Rainald Grebe auch angedreht. Es startete alles mit „Angeln“ einer Art Hymne an das Golfspiel der einfachen Leute („Angeln ist ein Trennungssport“). Ein chillig vorgetragenes, schön basslastiges Lied, das sich bedächtig aber unaufhaltsam wie ein Karpfen voran schiebt. Bei allem Wortwitz noch untermalt durch Rainald Grebe, der sich mit gewohnt anarchistisch – chaotischem Habitus auf der Bühne präsentierte. Sehr schöner Einstieg, dem in der Folge das gesamte neue Programm folgte. Allerdings immer wieder unterbrochen von den kabarettistisch angehauchten Zwischendialogen und Kalauereien des Meisters. Das führt schon einmal dazu, daß der Herr Grebe mal eben ein paar Minuten komplett von der Bühne verschwindet und die Musiker (OK, das Orchester) sich die Wartezeit mit Papierfliegern und Gummischnipsen vertrieben. Als Ruhepol fungierte dabei das String-Quartett mit deinem Durchschnittsalter weit jenseits der 70. Köstliche Unterhaltung, wie immer. Man weiß gar nicht, wo man die Highlights genau verorten soll. „Das 20. Jahrhundert“ ist eine großartige Hommage an eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurück liegt, aber alleine durch die Absenz von Handy und I-Pad wie das finstere Mittelalter wahrgenommen wird. Eigentlich ist es eine konsequente Fortsetzung von „Als ich jung war / Die 90er“ von „1968“, was auch kurz zitiert wird. Ein weiteres Highlight für mich war dann natürlich „Diktator der Herzen“. Während der DJ auf seiner Empore ohnehin das halbe Konzert in einer Gaddafiverkleidung hinter seinen Turntables rumkasperte, tats bei Rainald eine Armeemütze. Gewollt kann das ja nicht gewesen sein, wurde das Programm doch vor den Unruhen in Arabien geschrieben und produziert, aber das Ding war dennoch so erschreckend aktuell in diesem Moment. Auch wenn es Zufall war, so bleibt das Stück ein Geniestreich. Alleine die bitterböse Spaßigkeit, welcher der Rainald die Herrschaftsbedingungen im Orient persifliert ist Grund genug sich die CD zu zulegen. Das tat ich dann auch in der Pause, nachdem Rainald und Kollegen uns gut eine Stunde köstlich unterhalten hatten.
Nach selbiger ging es dann weiter mit der wilden Hatz durch die neue Scheibe des Meisters. Mir fiel auf, daß im Gegensatz zu „1968“ so etwas wie der rote Faden fehlt im neuen Programm, was sich aber auch ganz erfrischen auswirkte wie ich fand. „T.I.A“ passt mit seiner mehr als unterschwelligen Wohlstandsafrophilenkritik (ihr kennt sie alle, die ausgehungerten, nervtötenden Weiber und Ökohippies, welche so tun als sei ausgerechnet Afrika das gelobte Land; diese Leute, mit den Sonnenuntergangsbildern mit Elefantensilhouette an der Wand, die sich aus angeblichem Ebenholz handgeschnitzte Kriegerfiguren mit Erektion vom Wochenmarkt in Mwambawabamba aus dem Urlaub mitbringen) und dem Reggae – Beat ebenso wenig zur straight nach vorne rockenden „Mike aus Cottbus“ (einer köstlichen Bestandsaufnahme des im Unterschichtenfernsehen breit gewalzten Assiproletentums hier in den „neuen“ Ländern) wie „Prenzlauer Berg“ zum doch sehr gedämpft daherkommenden „Lonely Planet“, einer depressiv angehauchten Ballade der Extraklasse. An „Prenzlauer Berg“ zeigt sich für mich Rainalds große Stärke. Live ist es die reinste Freude ihn zu beobachten, wie er die bissigen Zeilen gegen den „Bionade – Biedermeier“ vorträgt und die Seele eines ganzen Stadtteils unserer Hauptstadt breit grinsend durch den Kakao zieht; ein herzhafter Lacher jagt den anderen! Man kann sich all die Maltes und Wenckes förmlich vorstellen, wie sie sich im Wollpulli zum Sit-In im Hinterhof treffen und sich mit Sauerkrautsaft die Darmflora schön saufen. „Lonely Planet“ dagegen ist schon sehr anrührend, alleine wie dieser Derwisch von Grebe, der die ganze Show über mehr oder weniger über die Bühne tobte, plötzlich rührungslos und mit wässrigen Augen auf der Bühne steht ist ungewöhnlich. Aber: Das kann er auch, der Rainald! Großes Tennis!
Erwähnen sollte man noch „Oben“, dieses bewusst selbstüberhöhende Dicke-Hose-Lied, mit dem Rainald den eigenen Erfolg und wohl auch so einige Fan-Reaktionen aus der penetranten „Underground – Szene“ auf die schippe nimmt, welche gleich den Main Stream und den Sell-Out proklamieren, nur weil er sich erdreistet seine Kunst erfolgreich zu gestalten. Schmunzelgarantie!
Nachdem das reguläre Programm dann abgespult war, kam die Zeit der Zugaben. Natürlich kam man an „Brandenburg“ und dem regional bedingten „Sachsen“ nicht vorbei. Beide wurden meiner Meinung nach durch das Streicherquartett noch mal massiv aufgewertet. So hat man beide Lieder noch nicht gehört, besonders bei „Brandenburg“ wurde die große Leere jenseits von Potsdam förmlich spürbar! Aber von diesen Klassikern einmal abgesehen war mein persönliches Highlight der Zugabenblöcke gleich das erste Extrastück. Rainald betrat die Bühne, schnallte sich den Bass um und legte mit dem Geniestreich von „1968“ los: „Der Präsident“! Ich liebe dieses Lied, zumal es auch nach Köhlers Rücktritt (dem es ja quasi auf den rhetorischen Leib geschrieben ist) nichts von seiner absurden Realitätsnähe verloren hat.
Nach zwei ausführlichen Zugabenblöcken und insgesamt knapp drei Stunden Lachmuskelstretching entließ uns der Meister mit „Es ist Zeit“ schließlich in die Chemnitzer Nacht. Nach einem angemessenen Absackerbierchen gings dann heim, immer noch innerlich vor sich hin grinsend ob soeben erlebten, großartigen Abends.
Rückblickend wieder einmal ein großartiger Abend den uns Rainald Grebe bereitete, die Erweiterung der „Kapelle“ zu einem „Orchester der Versöhnung“ verlieh auch den alten Stücken einen tollen, neuen Drive. Einziger Kritikpunkt war vielleicht die etwas zu laute Abmischung des ganzen, was gerade bei den deutlich rockigeren Stücken dazu führte, daß die Texte etwas übertönt daher kamen. Aber sonst war er jeden Euro wert, dieser Ausflug in die vertonte Gegenwart unserer Gesellschaft. Wer in den nächsten Monaten die Gelegenheit hat sich den Meister anzuschauen, der sollte das schleunigst tun! Ich für meinen Teil wurde leider überrumpelt von der Ankündigung, daß sich die „Kulturarena“ in Jena die Dienste von Rainald im August sicherte. „Ausverkauft“ nach wenigen Tagen und meine Schwester und ich stehen schon wieder ohne Karten da. Aber ich gebe nicht auf; und wenn wir uns wie 2008 wieder mit selbst gemaltem Schild vor dem Einlass platzieren müssen um an unsere Karten zu kommen… wir versuchen uns dieses Hochlicht nicht entgehen zu lassen: Rainald kehrt heim, das muß man erleben!
Ja ja der Rainald. Danke übrigens an dieser Stelle fürs bekannt machen mit ihm vor drei Jahren über Pitti. Keine Ahnung, wie oft ich seitdem in den seltsamsten Situationen - meist dann, wenn es ganz besonders dröge wird - zum Ehemann sage: Was soll man sonst auch machen, mit 17, in Brandenburg.
AntwortenLöschen"Prenzlauer Berg" finde ich klasse. Total auf den Punkt gebracht. Den Prenzelberg, den ich kenne (ich habe sehr gerne da gelebt), gibt es nämlich nicht mehr. Dafür den Prenzlauer Berg. Da wohnen jetzt auch ganz andere Leute.
Die 40 € haben sich doch alle mal gelohnt, wie man hier lesen kann.
Grüße! N.