Montag, 15. Juli 2013

BICYCLE RACE

(Queen)

Wie jedes Jahr zur Tour de France-Zeit gehen mir ARD und ZDF massiv auf die Ketten! Genauer gesagt ihre “Sport”redaktionen. Ich sage dann zu mir selbst immer das, was die @MsPittili für sich als Alternativtitel für “Hart aber Fair” auserkoren hat: DA KÖNNT’SCH MICH UFFRESCHE!!

Wenn man ARD und ZDF heutzutage ärgern will, dann sagt man einfach nur “Radsport”! Dieses Wort, das an sich nur eine Sportart beschreibt, reicht mittlerweile aus um die Redaktionen der GEZ-finanzierten Moralisten in Rage zu versetzen. Auch wenn, oder besser: gerade weil die Tour de France derzeit durch das Nachbarland rollt. Alle unter uns, die die ausgehenden 90er und die erste Hälfte der Nullerjahre mitgemacht haben und über einen funktionstüchtigen Kabelanschluß verfügten, können sich daher ein leichtes Kopfschütteln nicht verkneifen. Es war 1996, als Bjarne Riis zum Toursieg radelte und in seinem Schatten ein sonnensproßiges Bübchen mit dem unverkennbar teutonischen Herkunftsnachweis “Jan Ullrich” plötzlich auf Platz zwei des Podiums rollte, als die öffentlich Rechtlichen plötzlich ihr Herz für den gepflegten Pedaltritt erkannten. 1997 wurde dann aus der aufstrebenden plötzlich eine Boomsportart. Ullrich gewann die Grand Boucle in beeindruckender Manier, hängte Richard Virenque ab und wechselte beim letzten Zeitfahren am Berg sogar noch sein Sportgerät. Im Nachhinein so etwas wie die Wurzel allen Übels. Verzieh man ihm 1998 noch seinen Hungerast, der ihn hinter Marco Pantani “nur” auf Platz zwei führte, sollte er in den folgenden Jahren die ganze Wucht der seitens ARD und ZDF geschürten Erwartungshaltungen zu spüren bekommen. Um ihn herum wurde ein gewaltiges Marketingmonster ins mediale Feld geführt. Gut, Ullrich selbst hat sicherlich auch seinen Schnitt gemacht dabei, aber ob es das im Nachhinein wert war… ich weiß es nicht. Was folgte waren die Dominatorjahre des Lance Armstrong, welcher Ullrich bisweilen mit hanebüchener Leichtigkeit abhängte. Ullrich versagte gegen den Amerikaner. So sah es zumindest die Medienwelt und allen voran ARD und ZDF. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich damals aus der Vorlesung direkt zum heimischen TV hetzte um die Etappen zu verfolgen. L’ Alpe d’Huez war ohnehin immer gesetzt, aber auch Zeitfahren und Co. waren immer die Highlights jener drei Wochen. Was mich damals schon störte war die Hyperfokussierung auf Ullrich und das “Team Telekom”. Heutzutage würden die mit ihrer gedrosselten Tempoarbeit ja keinen Blumentopf mehr gewinnen, aber damals war das noch anders. Mit Erik Zabel holten sie Sprintwertungen mit Ansage, Ullrich mischte im Gesamtklassement immer vorne mit (“vorne”, das ist mehr als nur Platz 1, bei der Tour sind das mindestens die ersten drei Plätze – eigentlich sogar die Top 10 wie ich finde) und hin und wieder schnappte sich ein anderer noch eine Etappe. Was nebenher noch passierte, so Leute wie Jens Voigt oder Marcel Wüst, die wurden in Berichten zwar erwähnt, jedoch schwang im Subtext immer ein “talentierter Mann, aber für das tolle Team Telekom reicht es halt nicht” mit. Bloß gut, daß es schon damals auch Eurosport gab. Wenn einem da die magentafarbene Götzenverehrung zu nervig wurde, konnte man bequem zu jenen umschalten, die das Ganze wesentlich objektiver und vor allem lockerer sahen. Spätestens nach Armstrongs zweitem Streich kippte die Berichterstattung dann endgültig, zumindest ist das mein Eindruck im Nachhinein. Ullrich wurde medial praktisch zum Toursieg gezwungen. Die Discoaffäre kam noch dazwischen und hätte es nicht die wahnsinnig spannende 2003er Tour gegeben, hätte der öffentlich rechtliche Rundfunk ihn wohl schon viel früher in die Verzweiflung getrieben. Damals wurden die mit Abstand penetrantesten Reporter ins Fahrerlager entsandt, wo sie Ullrich vor und nach den Etappen regelrecht auflauerten. Die Fragen waren immer die gleichen: “Was war heute los?”, “Warum war Armstrong so stark?” und “Was haben sie in der Vorbereitung vielleicht falsch gemacht?”. Das ging nicht nur dem Ulle auf die Nerven, sondern auch mir. Nicht genug, daß man zusehen mußte, wie der Cocktailami der ganzen Radsportwelt um die Ohren fuhr, der einzige, der wenigstens noch halbwegs mithalten konnte wurde nach jeder Sekunde Zeitverlust medial runderneuert. Wenn man das über Jahre immer und immer wieder mit ansehen muß, dann verliert man den Spaß an der schönen Sportart. Das Lustige an der Sache ist im Nachhinein, daß bereits damals im Radsport alles eingeworfen wurde, was bei drei nicht im Medizinschrank war. Man wußte es doch! Ich sage nur "Festina” oder “Pantani”. Da gab es Teamfahrzeuge, die an den Grenzen durchsucht wurden und bei denen man eine mittlere Apothekenausstattung entdeckte. Aber der öffentlich rechtliche Rundfunk sprach das nicht an; zumindest nicht bei Armstrong und Ullrich. Doping, das war was für die Anderen, die “Bösen”. Ullrich durfte eh nicht in Verdacht geraten als Zugpferd der eigenen Berichterstattung und Armstrong… erstens hätte man es sich nicht mit dem großen Rivalen verscherzen wollen, man brauchte ja auch von ihm weiterhin Statements und Interviews, und zweitens hatte man sich selbst längst in eine Zwickmühle hinein berichtet. Wäre heraus gekommen, daß das radelnde Aushängeschild der Nation in seinen großen Duellen vom Opponenten nach Strich und Faden behumst wurde, hätte man für so einige “investigative” Nachfragen, die dieser ungekrönte Personenkult mit sich brachte, entschuldigen müssen. ARD und ZDF hatten sich sozusagen verradelt. Das machte jetzt die Sendungen freilich nicht besser, eher im Gegenteil.

Heute, mit dem im Hinterkopf, was man weiß, wundert einen gar nichts mehr. Wie hatten die sendenden Anstalten denn bitte so blind sein können Doping immer nur bei den anderen zu suchen? Warum hat man denn nicht schon damals den großen Aufklärer gespielt statt nur mit hängender Zunge durchs Fahrerlager zu hecheln und allen mit den Fragen um Jan Ullrichs Wettkampfgewicht auf den Sack zu gehen? Jetzt, da das Kind nicht nur in den Brunnen gefallen war sondern schon mehrfach gepflegt abgesoffen ist, wo Ulle nicht mehr fährt und kein deutscher Klassementsfahrer mehr in Sicht ist, jetzt wird derart penetrant “aufgedeckt” und moralisiert, daß dem Fuentes die Kanüle aus der fällt. Liebe ARD, liebes ZDF: Das bringt jetzt bloß nichts mehr! Ihr steckt in eurer eigenen Vergangenheit fest, die ihr nicht mehr ändern könnt. Was ihr zuerst ein Jahrzehnt lang ignoriert habt, versucht ihr jetzt durch Überkompensation zu reparieren. Nur, das wird nicht klappen! Eure Berichterstattung ist rückwärts gewandt. Armstrong hat gedopt, Hamilton, Contador… na und?!? Diese Heinis fahren zum Teil schon längst keine Renne mehr, das ist vorbei! Nur was kann der Jungprofi von heute dafür, daß seine Idole von damals sich täglich das Who-is-Who der pharmazeutischen Industrie in die Adern gepfiffen haben? Nichts! Und hätte Ullrich, der ja kürzlich auch einräumte gedopt zu haben, das nicht gemacht, was glaubt ihr denn, wie der Armstrong den bei der Tour vernascht hätte?!! Die Fragen, die er sich von euch hätte gefallen lassen müssen, die hätte ich aber nicht gestellt haben wollen. Nicht geschenkt hätte ich die haben wollen. Was ihr eigentlich zu vertuschen sucht, ist doch die eigene Mitschuld an der ganzen Scheiße, die ihr eben durch eure Berichterstattung tragt. Sicher, ihr habt keinem die Nadel in den Arm gedrückt, aber ihr habt auf der Jagd nach Quoten und Sensationen lange genug weg geschaut, zumindest bei denen, die die Leute vor den Fernseher lockten. Daß dann raus kam, daß das alles ein Trugbild war, das war natürlich die größtmögliche Katastrophe für euch. Man kann natürlich verstehen, daß ihr dann die Senderechte zurück gebt, da mache ich euch keinen Vorwurf. Immerhin gibt es ja noch Eurosport, auch wenn Klaus Angermann mittlerweile nicht mehr kommentiert. Aber wenn man das tut, sich “bewußt gegen eine Berichterstattung entscheidet” wie es damals hieß… dann sollte man sich verflucht nochmal auch daran halten! Alle paar Wochen einen “Dopingexperten” oder “reuigen Sünder” ins Sportstudio einzuladen, das wirkt an sich schon lächerlich und trägt NULL zur Aufklärung bei! Warum nicht? Ganz einfach: Weil mittlerweile jeder begriffen hat, daß die Zeit damals nichts mit “sauberem Sport” zu tun hatte. Also laßt es doch ruhen! Die Aufklärung machen die Verbände und wenn sie dann noch den einen oder anderen auffliegen lassen, dann ist das auch gut damit. Was derzeit, gerade während der Tour, die man ja nun “bewußt” nicht mehr überträgt, in Sportreportage etc. abgeht, das ist peinlich, scheinheilig und vor allem unfair. Jeder Beitrag wird erst einmal mit einer kurzen Chronologie des Dopings eingeleitet. Bevor es um den Sport an sich geht, wird erläutert, daß man sich bei den modernen Dopingtechniken ja eh nie so 100%ig sicher sein kann und man daher nur unter Vorbehalt auf die Ergebnisse hinweisen will. Das kann man dann auch lassen, liebe ARD und liebes ZDF! Solche Einspieler tun genau das, was im Rechtssystem verboten ist: Sie stellen alle unter Generalverdacht und propagieren Suppen… nee… Sippenhaft. Ich bin nicht so dumm zu glauben, daß da heute nur gute Pasta und Wadenmassagen das Feld antreiben, aber alle über einen Kamm zu scheren und erst einmal ins Blaue hinein Doping zu unterstellen… lächerlich.

Wie gesagt: Laßt es einfach! Wer sich bewußt gegen etwas entscheidet, der sollte es auch konsequent tun und nicht hintenrum noch Synergieeffekte der aktuellen Rennen mit abfassen. Den großen, edlen Aufklärer im Namen des Sports nimmt euch eh keiner ab – nicht wenn er euch zu Ullrichs aktiven Zeiten erlebt hat.

PS: Diesen tollen “Dopingjäger Professor Franke”, den ihr immer hofiert, den nimmt übrigens auch keiner mehr ernst… verdrehter Opi!

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