Montag, 14. Oktober 2013

ICH GEHÖRE NICHT DAZU

(Farin Urlaub)

Wie Deutsche sind und bleiben ein Volk von Phrasendreschern! Es ist an der Zeit, daß das auch mal in meinem Blog angemessen gewürdigt wird. Wenn mir demnächst mal wieder was auffällt, kommt es gnadenlos hier rein; unter der Rubrik “Phrasenrodeo”. Heute mache ich den Anfang. Ein Besuch im Penny Markt letzte Woche brachte mich auf die Idee, mit einer der Lieblingsphrasen der allzeit betroffenen Gutmenschen zu beginnen, nämlich mit:

“… und in Afrika verhungern die Kinder!”

Traurige Wahrheit einerseits, argumentativ schwer besiegbarer Phrasen-Knüppel-aus-dem-Sack andererseits. Gern auch erweitert um “Die würden sich freuen so etwas feines zu essen zu bekommen.” Wenn man das hinterfragt, ist man gleich wieder ein Menschenfeind. Vielen Kindern wird es von Natur aus nicht unbedingt klar sein, wie es die Kinder in Afrika retten soll, wenn man es löffelweise mit einem graugrünen Brei aus Spinat und Grünkernmoppelkotze zwangsernährt; mir geht es da übrigens ähnlich. Die moralisch entrüstete Elterngeneration sollte sich mal selbst hinterfragen, warum man sich den teuren Biobrei, den man da dem Nachwuchs auf Teufel komm raus hinter die Kiemen spachtelt nicht gespart und statt dessen den Kaufpreis an eine Hilfsorganisation gespendet hat. Wäre im Zweifel effektiver… aber von Kindern kann man nicht verlangen solcherlei Gegenfragen zu entwickeln, während sie mit Lätzchen und Sitzkissen an die Tafel gefesselt dem Treiben ihre beiden Erzeugerinquisitoren schutzlos ausgeliefert sind. Was lernt das Kind? “Ich bin Schuld, wenn ich nicht aufesse! Und wenn ich aufesse, bin ich irgendwie auch verantwortlich, weil es mir nicht geschmeckt hat!” Ganz großes Pädogogentennis! Das Einzige, was man damit erreicht, ist, daß man dem Nachwuchs gleich den typisch deutschen Betroffenheitshabitus einimpft.

Die Kehrseite der Medaille ist, daß sich da manchmal gerade wieder die zu den Hütern der moralischen Überlegenheit aufschwingen, die selber Unsummen für Nahrungsmittel ausgeben, deren bloße Existenz schon von der fortschreitenden Beknacktheit moderner Gesellschaften zeugt. Die Nahrungsmittelindustrie versorgt uns ja seit Jahren mit Dingen, die zwar schön klingen, schön aussehen, schön riechen, aber bei einer näheren Analyse aus Zutaten hergestellt sind, deren Nutzen für die menschliche Ernährung außerhalb von petrochemischer Verwurstungsorgien irgendwo zwischen Fußpilz und Febréze angesiedelt sein dürfte. Da wird uns farblose Pampe in schön designten Bechern für einen Wucherpreis angedreht, weil sie “die Darmflora wieder ins Gleichgewicht bringt”, “Völlegefühl vorbeugt” oder sonst welchen Blödsinn verkündet, für dessen Umsetzung selbst die sympathische Pharmaindustrie dereinst mehrere Hundertschaften von Affen ins Nirwana “testen” mußte bis sie eine entsprechende Tinktur entwickelt hatte. Bloß gut, daß wir nicht im Mittelalter sind, sonst würde man uns wohl mit Joghurt vom schwarzen Tod befreien wollen – beruhigend. Seit die besonders bekloppten Auswüchse dieser “Funktionsnahrungsmittel” und ihrer Versprechungen nun aber verboten sind, hat man einfach umgeschwenkt. Statt sich im Supermarkt “gesund” zu kaufen (und arm), wurde die Werbestrategie nun auf “Wellness” ausgerichtet. Man kann sich praktisch die Entspannung und das Wohlergehen förmlich anfressen, wenn man die “richtigen” Lebensmittel kauft. Neuerdings scheint aber auch das nicht mehr genug zu sein. Nahrungsmittel werden zielgruppenspezifisch. Gut, waren sie früher auch schon… wer zu blöd war zum Jagen, der mußte halt Wurzeln schnurpsen, aber heute ist das schon noch ein wenig… naja… perfider.

Diskriminierungsöl

Es gibt mittlerweile Lebensmittel, die man um Himmels Willen nicht einfach so kaufen und/oder konsumieren darf. Nur die, die ausdrücklich erwähnt sind. Wenn ich, der ich weder schwanger noch Ü50 bin, mir ne Bratwurscht in einem dieser Öle braten würde, dann… dann… hmm, keine Ahnung, aber es wäre bestimmt schlimm! Und das ist ja noch nicht alles, denn auf Grund der unsachgemäßen Anwendung des Produktes würde wahrscheinlich der Hersteller vollkommen zu Recht jedwede Haftung für resultierende Folgeschäden ablehnen. Schreckliche Vorstellung! Was ist das Nächste? Windeln exklusiv für Babys? Medikamente nur für Radprofis? ALKOHOLFREIES BIER??? Das Leben wird hierzulande immer und immer absurder!

Was ist denn so schlimm am einfachen Kochen mit einfachen Lebensmitteln? Was spricht denn dagegen, sich eine Scheibe Gouda auf sein Bauernbrot zu legen, auf welchem sie von einer Schicht Butter fixiert wird, und das dann “Frühstück” zu nennen? Muß es denn immer die “vitalisierende Fruchtmüsliflockenkomposition mit simbabwischer Stinkbeere” sein, die man mit laktosefreier Wohlfühlsojamilch (für 3,49 den halben Liter auch in ihrem Biomarkt) in seiner handgetöpferten Tonschüssel aufgießt und mit der liquiden Dickdarmpolizei in Joghurtform herunter spült? Mir geht es da mit dem Käsebrot deutlich besser, weil sich da auch die Dosierung und das Beachten der Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten deutlich einfacher gestaltet. Das ist ja auch Stress, wenn man sich schon früh entscheiden muß, ob man den Tag nun “vital” und “frisch” beginnen will, mehr wert auf “Wellnessfaktor” legt und trotzdem einen Schuß “vital” beimengt oder ob man dann doch lieber den ganzen Tag intensiv seine Eingeweide und deren Pflanzenwelt wieder beleben will indem man mal so richtig schön intensiv vor sich hin verdaut. Nee, Käsebrot! Ist außerdem auch laktosefrei! Ich weiß nicht, wir haben so viele tolle Lebensmittel in den Läden, die fast jeder von uns essen kann – warum brauchen wir dann diesen Spezialisierungsquatsch? Die Schwangeren dieser Republik werden auch nicht noch schwangerer von diesem seltsamen Öl, genauso wenig wie es die über 50jährigen jünger macht. Ich wage mal zu behaupten, daß die auch ein halbwegs vernünftiges Olivenöl nehmen könnten… ist aber nur so ne Theorie.

Wir zeichnen uns derzeit meiner Meinung nach durch einen seltsamen Doppeltrend aus, der unsere Nahrungsmittel betrifft. Auf der einen Seite werden Fertig- und Massenprodukte in Fabriken zusammen gedübelt, für deren Inhaltsstoffe der Begriff “Schlachtabfall” noch ein Kompliment ist. Diese Nahrung wird dann zu Dumpingpreisen verschleudert, sodaß sich der Konsument über sein Schnäppchen (vorgekochte Kartoffeln im 500g Glas für 1,99) einen abfreuen kann, während gegenüber die Rohware zum selben Preis im Zentnersack im Regal vergammelt. Leute, sind wir denn zu faul zum kochen? Wasser druff, Kümmel rein, Ofen an, warten… fertig! Andererseits wiederum wird all jenen, die es “sich leisten können und wollen” vorgeblich Designernahrung auf den Teller maßgeschneidert. Daß diese Pampe dann im Wesentlichen nichts anderes enthält als eine halbwegs Vernünftige Version eines “konventionellen” Produktes, das maskiert man dann mit “Bio-plus”, “Wellness” und ähnlichem Schabernack. Früher, also ganz damals, da knüppelten unsere Vorfahren ihr abendbrötliches Mammut noch eigenhändig in die nächste Welt und wurden auch satt. Heute, da müßte das schon ein Wellness-Mammut sein, das einem bei Verzehr auch gleich noch Dünndarmzotten durchkämmt, bevor die Lifestyle-Opfer da freiwillig zu Messer und Gabel greifen. Wohlstand, so scheint es, hat mit Vernunft ab einem bestimmten Punkt nichts mehr zu tun. Während wir hier das gleiche Lebensmittel in 472 zielgruppenspezifischen Versionen (als Gipfel vielleicht sogar noch als Wellness-Teewurst Limited Edition) zusammenrühren, da verhungern in Afri… .

Mist!

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