Samstag, 26. Oktober 2013

Lightning Bolt

(Pearl Jam)

So, wer mich in den letzten Wochen erlebt hat, der dürfte mitbekommen haben, daß die mit Abstand groß- und einzigartigste Musikkapelle wo gibt mal wieder neues Material veröffentlicht hat. Ich hatte es schon längst abgeschrieben, aber dann kam es doch noch am Freitag ins Haus geschneit, DAS Album. Nach vier langen, langen Jahren des Wartens gibt es endlich frische Songs von Pearl Jam zu bestaunen. Das Warten hatte endlich ein Ende. Die Mutmaßungen sproßen im Vorfeld wild und ungeniert in sämtliche Richtungen, wie das Album denn nun ausfallen würde. Vorweg gesagt: Ich bin einer der Pro-Backspacer-Fraktion; jener Leute halt, die das Vorgängeralbum durchaus begeistern konnte. Ein frisches, lockeres, befreites und – was man bei Pearl Jam dazu sagen muß – von Anfang an leicht zugängliches Stück Musikerkunst. Einige der alten Recken verstörte das ein wenig, ich bin ganz froh, daß ich deren Schicksal nicht teilen muß. Jedenfalls waren deren “Befürchtungen”, daß “Lightning Bolt”, wie die neue Scheibe heißt, in die selbe Richtung gehen könne wie die “Backspacer”, für mich kein sonderliches Schreckensszenario. Zumal man von Pearl Jam eigentlich fortwährend mit anders gepolten, zum Teil komplett unerwartet ausfallenden Alben verwöhnt wird. So auch diesmal wie ich finde. Aber dazu vielleicht am Ende noch ein paar Worte. Zunächst mal zu den einzelnen Songs. Ich habe bewußt 14 Tage gewartet, weil ich das Album erst einmal auf mich wirken lassen wollte. Zugegebener Maßen war das bei der “Lightning Bolt” nicht soooo wichtig, wie bei einigen der alten Alben, weil man relativ einfach einen Zugang findet, aber geschadet hat es sicherlich auch nicht. Also, fangen wir mal an mit einer Einzelkritik von LIGHTNING BOLT:

PJLB

Getaway

Der Opener des Albums. Er gibt in gewisser Weise gleich die Richtung vor, in die sich die Band mit diesem Album entwickelt hat. Bereits hier wird deutlich, daß das Album deutlich groovelastiger wird als die bisherigen. Dazu Eddies Gesang in irgendwie leicht versetztem Rhythmus, was dem Song aber einen ungemeinen Drive gibt. War von Anfang an einer meiner Favoriten, einfach ein geiler Song! Lyrics auch gut, besonders an den neuralgischen Punkten des Refrain; nicht sonderlich metaphorisch diesmal, aber das würde auch nicht passen. Ich freue mich schon auf das Dingen live, das kann ich euch sagen!

Mind Your Manners

Erste Single des Albums und als solche schon länger veröffentlicht und bekannt. Als sie raus kam wurde sie oft als “punklastig” beschrieben. Ja, das trifft es auch irgendwie. Im Gegensatz zu Getaway und nahezu dem kompletten Rest des Albums, ein überaus direkter, gradliniger Song. Irgendwie genau das, was man als schnelle Nummer, als erste Auskoppelung von den Jungs erwartet hat. Dabei aber auch mit einer Prise der “neuen” Vielschichtigkeit gewürzt. Ein wirklich toller Song, der seine Glanzstunden sicherlich auf den Konzerten erleben wird, wenn er als Einheizernummer die Masse nach einem verträumten “Release” in Schwung bringt.

My Fathers Son

Hier geht es in dem Stil weiter, den “Getaway” schon andeutete. Schnellere Nummer mit melodischen Parts, irren Breaks und Eddie, der die Grundstimmung und Emotionen des Songs wirklich gut rüber bringt. Manche mögen sagen, seine Stimme läßt nach, ich finde diese sich fast überschlagenden Parts wiederum ideal für den Song. Hammerlied, schließt eine wirklich tolle Troika zu Beginn des Albums ab.

Sirens

War auch schon länger bekannt der Song (2. Single) und ich habe den hier auch schon irgendwie erwähnt. Als erste ruhige Nummer des Albums eine wirklich gute Wahl. Der Song ist für mich eine jener Nummern, die im Mid-Tempo-Bereich so typisch sind für diese Band. Sie haben es verdammt nochmal einfach drauf Songs zu schreiben und zu spielen, die einfach wachsen und teilweise geradezu ausufern gen Ende. Denen man sich insbesondere auf den Konzerten einfach mal anvertrauen kann und die einen mit durch den Abend tragen. Sirens ist so ein Song, mit einem kleinen Manko: Den ersten 30 Sekunden. Die gefallen mir irgendwie nicht, da ist wieder ein Ticken zu viel Pathos mit rein geflossen. Seid ihr schon einmal Wasserski gefahren? Die ersten Meter, wenn die Ski noch im Wasser sind, die Leine sich strafft und ihr langsam durchs Wasser pflügt. Auf diesen Metern ist alles möglich, der Beginn einer wilden Fahrt und damit verbunden jede Menge Spaß, aber eben auch ein fieser Sturz vornüber… nennen wir es beim Namen: ein Bauchklatscher! Sirens schafft den Spagat meisterlich und wenn die erste halbe Minute erst einmal überstanden sind, geht der Song aber sowas von durch die Decke! Wiedermal ein wirklich großes Lied der Jungs, was auch ein ungemeines Livepotential hat… daraus können die Jungs einen echten Hinhörer machen auf ihren Konzerten! Das ist so ein Song, der einen im Alltag einfach mal erwischt, wenn man ihn gerade hört und es eigentlich am wenigsten erwartet; ein Song, der einen dann nicht wieder los läßt. Er entwickelte sich zu einem absoluten Highlight des Albums… für mich zumindest.

Lightning Bolt

Der Titeltrack. Nebenbei eine Premiere, bisher gab es die Kombination Song/Albumname noch nie. Mir ist jetzt nicht so ganz klar, warum man ausgerechnet diesen Song zum Namensgeber erhob, wahrscheinlich, weil es einfach mal der coolste Name fürs Album war unterm Strich. Wenn man den stärksten Song ehren wollte, dann wäre es nicht LB gewesen. Der ist zwar ziemlich klasse mit all seinen Breaks und den Gitarrenspuren sowie den leicht sphärischen Untermalungen, aber es gibt eben auch noch den einen oder anderen besseren Song. Lightning Bolt ist auch einer von 2 Songs, denen es gut getan hätte, wenn man Brendan O’Brian mal kurz aus dem Studio geschickt hätte. Klar, er wirkt jetzt unheimlich rund und perfekt durchdacht; wäre er aber noch ein wenig rauer und sperriger… roher… dann wäre der ne richtige Bombe meiner Meinung nach! Mal sehen, was man live aus dem Lied strickt.

Infallible

Zurück zur rhythmischen, groovigen Seite der Platte. “Infallible” ist für mich bisher ungefähr auf dem Niveau von “Lightning Bolt” anzusiedeln. Solide 2 bis 2+. Es gibt Tage uns Stimmungen, da macht der Song richtig Spaß und man schaltet unwillkürlich auf repeat, aber es gibt eben auch Momente, da wird er sofort geskipt. Was aber wieder einmal auffällt, das ist die Entwicklung des Songs zur Mitte hin und dann das komplette zurück kehren zum Anfangsthema. Ist bei Pearl Jam auch eher neu, aber macht eben an den “Repeat-Tagen” auch den Reiz aus.

Pendulum

Das absolute Highlight dieser Platte bisher für mich. Ein Wahnsinns-Song. Es ist immer schwer, die neuen Songs mit den schon reiferen Balladen vom Schlage eines “Black” zu vergleichen, aber aus Pendulum kann auf jeden Fall mal ein echtes Setlist-Highlight werden in näherer Zukunft. Der Song fließt in einer ungemein einfachen, aber total rund wirkenden Art und Weise dahin. Am Ende wundert man sich, daß der Song nur 3:44 Minuten lang ist. Es wirkt so, als wäre er bedeutend länger; er hätte es auch verdient, die 5 Minuten Grenze zu knacken. Ganz großes Tennis meine Herren, ein toller Song, der nicht umsonst als Opener vor den Opener (dem dann manchmal noch ein Opener folgt) angesetzt wurde. Konzert mit Pendulum eröffnen – das muß einfach gut gehen. Schnelle Opener werden eh überschätzt! Zwinkerndes Smiley 

Swallowed Whole

Hier merkt man jetzt so leicht, daß es ein klein wenig in Richtung Eddies Into-The-Wild-Folkrock geht. Aber das stört nicht. Auch “Swallowed Whole” holt sich so richtig Drive im Verlauf seiner Spielzeit. Ich finde den Song sehr gut. Gepflegter Midtempo-Semirocker, Eddie kann die Stimmbänder mal etwas variieren lassen, Lyrics am oberen Ende der Qualitätsskala und ein geiles Solo hat man gegen Ende auch noch in den immer weiter eskalierenden Song hinein gepackt. Ja, sehr schönes Ding!

Let the Records Play

Es wird wieder deutlich bluesiger. Ein Song, dem man einen richtig hochklassigen Einstieg verpasst hat wie ich finde. Danach erschließt sich einem der Song nur langsam, er ist ein wenig sperrig im Ohr zu Beginn. Das gibt sich aber relativ schnell und man bekommt den Rhythmus mitunter nicht mehr aus dem Ohr. Gewürzt auch wieder mit einem richtig hörenswerten Solo. Topsong für mich!

Sleeping by Myself

Gut, was der Song auf dem Album soll, das ist schon etwas… naja… rätselhaft. Nicht etwa, weil er schlecht ist, nein, vielmehr, weil Eddie ihn schon vor ein paar Jahren auf seinem Ukulele – Album veröffentlicht hat. Als Bandversion klingt der Song natürlich ungemein komplexer als die Solonummer von Eddie. Mit persönlich gefällt die Version von der Lightning Bolt besser als die Soloversion von Eddie, sie ist mittelfristig einfach deutlich spannender und vielschichtiger. Gut, sie ist auch einfach und relativ klar strukturiert gehalten, aber sie baut sich auch schön gemächlich auf und unterm Strich steht am Ende ein in vielerlei Hinsicht anderer Song als auf Eddies Uke-Scheibe. Erst dachte ich, daß ich ih öfter skippen würde, mittlerweile tue ich das aber dann doch nicht; die Version gefällt mir am Ende einfach zu gut um das zu tun. Irgendwie greift hier mal wieder die Binsenweisheit, daß man einen guten Song in nahezu jedes Tempo, jede Instrumentierung ect. übersetzen kann. Ich mag den Sleeping by myself mittlerweile wirklich gern und bin nun doch froh, daß man sich entschieden hat ihn nochmal komplett einzuspielen.

Yellow Moon

Toller Rhythmus, erinnert mich seitdem ich ihn das erste Mal hörte an irgend einen Klassiker, ich komme aber ums Verrecken nicht drauf, an welchen. Ein Song, mit dem man einfach nur mit schweben will und das eigentlich auch ziemlich gut kann. Im gegensatz zu manchen der unmittelbaren Vorgängeralben, wo man gegen Ende des Albums ein paar schwächere Songs einbaute, ist das Niveau auch gegen Ende der Lightning Bolt bombig, was auch an Yellow Moon liegt. Wäre das ein Fußballturnier, dann wäre das mein Geheimfavorit.

Future Days

Pearl Jam bringen mittlerweile gerne mal den einen oder anderen sehr deprimierenden oder von der Grundstimmung her am unteren Ende der Stimmungsskala rangierenden Song am Ende ihrer Alben unter. Das gabs auch schon früher und da kamen dann auch gerne mal so legendäre Niederknienummern wie “Indifference” bei rum. Oder aus der jüngeren Vergangenheit das tief traurige, aber auch ebenso schöne “The End”. In diese Kerbe schlägt jetzt auch wieder “Future Days”, wobei es den endgültigen Fatalismus von “The End” (Gott sei Dank") nicht ganz erreicht. Aber es ist und bleibt ein wunderschöner Song. Einer von der Sorte, die man sich viel zu selten anhört, es aber bereut, sobald man sie wieder hört und sie in den nächsten Tagen fast auf Dauerrepeat laufen läßt. Für mein Dafürhalten ein absolut würdiger Closer des Albums und das Klavier-Outro ist einfach nur ein wunderbarer Abschluß für das Album und hebt sich somit sehr, sehr wohltuend von der Backspacer ab, wo mit dem abgehackten Schluß von “The End” urplötzlich auch das Album zu Ende war. Damit mich hier keiner mißversteht: “Indifference” ist für mich eine absolute Hausnummer und ich liebe diesen Song! Letztes Jahr in Berlin war ausgerechnet der letzte Song des Konzertes im Nachhinein das ultimative Highlight eines unbeschreiblich großartigen Konzertabends. Ich will “Future Days” nicht auf diese Stufe heben, aber wer weiß… in 20 Jahren, wenn der Song noch durch mehrere Jahre der Live-Evolution gegangen ist, wer weiß schon, was man dann über ihn denken wird.

Das war es dann also. Die Einzelkritik. Unterm Strich finde ich das Album richtig spitze. Für mich hat es die “Avocado” schon nach 14 Tagen deutlich abgehängt. Die Backspacer mag ich einfach auch zu sehr, als daß “Lighting Bolt” sie schon deutlich distanzieren könnte. Positiv sollte noch erwähnt werden, daß auf der LB nicht ein Song ist, der deutlich aus dem Niveaukanon nach unten ausbricht. Hatte die Backspacer in “Speed of Sound” noch ihren mit Abstand schwächsten Moment (wobei der Song auch gnadenlos überproduziert wirkt), so hat “Lightning Bolt” keine derartigen Ausfallerscheinungen – löblich. Ich hatte 2 richtig gute Wochen mit dem Album und es nutzt sich einfach nicht ab. Das, und das ist die gute Nachricht, hat sich bei Pearl Jam nach wie vor nicht geändert. Man braucht eine Weile um sich ins Album oder in einen Song hinein zu finden. Wenn es aber erst einmal “klick” gemacht hat, dann hat man einfach eine Menge Freude an der Musik! Nach fast 23 Jahren als Band noch so ein relativ frisch klingendes und mit ein paar wirklich neuen musikalischen Aspekten gespicktes Album zu basteln, das jedem, aber auch JE-DEM zeigt, daß man nicht stehen geblieben ist als Band sondern nach wie vor Neugier und Entdeckergeist hat… bewundernswert. Wenn ihr mich nach einer Wertung “in Zahlen” fragt, wie es auch die Musikpresse immer macht (-> finde das unsinnig btw), dann muß ich erst einmal den Bezugsrahmen abstecken. Im allgemeinen Vergleich kann denen bei mir sowieso niemand das Wasser reichen; da wären es nach konservativen Schätzungen 9,5 von 10 Punkten. Setzt man die “No Code” bandintern dahin, wo sie hin gehört, nämlich an die Spitze der 10er-Skala, dann würde ich der “Lightning Bolt” bis jetzt eine 7,5 geben… mit Tendenz zur 8, wenn sie weiter so interessant bleibt. Smiley

Es ist ein Album, das ich guten Gewissens jedem von euch ans Herz legen kann.

PS: Hier mal ein kleiner, sehr charmanter Kurzfilm von Danny Clinch zum Album:

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