Sonntag, 27. Oktober 2013

THE E-STREET SHUFFLE – (Buchrezension “Bruce” von P.A. Carlin)

(Bruce Springsteen and the E-Street Band)

Es gibt so Themen in meinem Blog, die recht selten auf der Tagesordnung stehen. Das liegt nicht an der allgemeinen Belanglosigkeit in meiner Offline-Welt, sondern viel mehr daran, daß ich nur selten finde, daß es sich lohnt, diese auch im Blog abzuhandeln. Bücher sind so ein Thema. Ich lese zwar nicht sonderlich schnell, aber dennoch ein Menge. wobei man erwähnen sollte, daß ich von den Genres schon recht festgelegt bin. Ebenso was die Bücher angeht, die ich im Normalfall nicht anrühre. Jedoch gibt es Ausnahmen von diesen Regeln und eine solche will ich euch mal kurz vorstellen.

Es gibt Menschen, die lieben es Biographien zu lesen. Menschen lesen Bücher von Menschen über Menschen… sozusagen. Man könnte es auch “Biographien” nennen. Ich persönlich finde hingegen, daß es kaum langweiligere Buchgattungen als Biographien gibt… im Normalfall wie gesagt. Es mag dabei auch eine gewichtige Rolle spielen, daß die “Biographie” hierzulande einen wirklich, wirklich bösartigen Todfeind hat: Den Promi! Man hat ja bisweilen das Gefühl, daß jeder bestenfalls semiprominente Vollpfosten, der in den letzten 20 Jahren irgend wann mal von Frauke Ludowig ausgebeutet wurde, im Karriereherbst nen Rappel kriegt und meint, er müsse der Einwohnerschaft seines Heimatlandes etwas Gutes tun und sein gelebtes Elend literarisch unters Volk bringen. Wenn man ganz viel Glück hat, dann schreiben diese Birnen das wenigstens noch selbst, dann kann man quasi 1:1 nachlesen, wie beschränkt sie doch sind. Meistens aber wird ein “Biograph” beauftragt ein paar hundert Seiten zusammen zu ghostwritern. Das hat dann für den Delinquenten den Vorteil, daß er sich beruhigt ins Dschungelcamp begeben und sich im Gedächtnis des Volkes wieder ein wenig festkrallen kann. Während er in Australien fröhlich ‘nen Eimer Maden lutscht oder sich vor laufender Kamera Blutegel ans Gemächt dübeln läßt, klimpert der Hiwi seine Lebensgeschichte in die Tasten. Sobald das Publikum ihn dann “rausgewählt” hat, kann sich unser Z-Promi dann ganz der Vermarktung seiner “Biographie” widmen. Das Schlimme ist, daß diese Machwerke eigentlich immer gehen, egal wie dämlich, inhaltsleer und literarisch wertlos diese Ergüsse sind. Gekauft wird dieser Humbug trotzdem. Was hat man sich in den letzten Jahren über die Biographien von Leuten wie Philipp Lahm (… mit Mitte 20 schreibt Zwerg Nase ne Biographie… are you fucking kidding me?!?), Bettina “Ehrensold ist Armutsrisiko” Ex-Wulff oder jüngst eben von unser aller äääähhhhhh… Bobbele aufgeregt?! Der Tenor war doch immer: “überflüssiges, inhaltsarmes Machwerk, das mehr der Selbstdemaskierung als dem Verständnis der Person dient.”  Verkauft hat sich der Schrott doch trotzdem, egal wie blödsinnig der Inhalt war. Warum? Weil es jeder “gelesen haben mußte”, weil in der heutigen Medienlandschaft “Präsenz” mit “Prominenz” verwechselt wird und jeder Kaschper, der nur oft genug über die brownsche Röhre hampelt gleich als “interessant” erachtet wird. So kauft Lieschen Müller dann aus dem Drang heraus “mitreden zu können” Bücher von Leuten wie Dieter Bohlen… der kann schon nicht singen, geschweige denn einen vernünftigen Satz bilden, warum zum Henker sollte man denn dann ein Buch von dem kaufen?! Diese Bücher sind doch verschwendete Lebenszeit.

Legitim finde ich hingegen, wenn es sich um wirklich relevante, interessante und wichtige Personen der Zeitgeschichte handelt. Dann, so finde ich, kann man die Bücher ruhig lesen… muß es aber nicht. Viele lesen bespielsweise Bücher des Dalai Lama oder eines Papstes (ist ja nun schon der Dritte den wir haben in den letzten 30 Jahren… man kommt ja gar nicht mehr mit) und erhoffen sich davon spirituelle Erleuchtung ect.. Ich kann damit nix anfangen. Oder bei großen Künstlern, warum hat er welches Bild gerade wie gemalt und weshalb hat sein Pinselstrich was mit der Leprakrankheit seines Ur-Ur-Ur-Ur…. URgroßonkels mütterlicherseits zu tun? Nun, das sind für mich im Algemeinen Fragen, auf die ich keine Antwort haben muß… wenn der gemalte Baum schön aussieht, dann reicht mir das an Information. Der Punkt ist einfach: In (Auto-)Biographien passiert mir meist zu wenig. Auch ist mir die Perspektive oft viel zu einseitig. Auch, wenn ein externer Schreiberling berichtet, dann wird mir der Portraitierte doch zu oft zu sehr in den Himmel gehoben und über den grünen Klee gelobt. Warum? Na, die potentiellen Käuferschichten sind halt “Fans” im wie auch immer gearteten Sinne.

Für mich persönlich gab es bisher nur eine Ausnahme von dieser Regel, nämlich diese hier:

Lemmy

Gut, vom Thema her ist das jetzt zwar genau das, was ich bisher langweilig fand: Eine Person des öffentlichen Lebens tut sich mit einem Autoren zusammen und schreibt ihr Leben auf. Naja, aber… es geht hier immerhin um Lemmy! Um den Mann, der einst sagte “I remember the time before there was Rock’n Roll!” und der das dann auch so meint. Außerdem ist Lemmy ein richtiges “Urvieh”, wie meine Mutter sagen würde und dieses Buch ganz bestimmt nicht zu unrecht in der Reihe “Heyne Hardcore” erschienen (in mehr als nur einer Hinsicht, glaubt mir!). Ein blanker Lesespaß, was auch an dem knochentrockenen britischen Humor und dem ungemein gut transportierten, direkten Stil von Herrn Kilmister liegt. Den hat er in seinen Songs drauf, in seinen Interviews und in dem Buch erst recht. Highlight des Buches im Übrigen: Die UFO-Story… einfach grandios!

Nun jedoch kam eine zweite Ausnahme hinzu, nämlich diese hier:

bruce 2

Bruce 1

Ich bin vorhin endlich damit fertig geworden, nachdem ich Ende August die ersten Zeilen las. Man kann das Cover im Übrigen auch so aussehen lassen, als hätte Bruce voll den monströsen Riesenzinken:

Bruce 3

… aber das nur am Rande! Jedenfalls sollte das nun eigentlich eine dieser Biographien sein, die ich gemäß meiner einleitenden Worte eher langweilig finde. Zumal ja nicht nur das Buch an sich auch total verschieden zur Autobiographie von Lemmy ist, der Boss hat mit Lemmy ja an sich auch recht wenig gemein, was u.a. in entsprechenden Äußerungen von Lemmy über Springsteen gipfelte. Aber das nur am Rande. Nachdem ich 2012 und auch dieses Jahr 2013 zwei absolut großartige Konzerte des Boss besucht hatte und mich in der Folge so langsam in sein Gesamtwerk “unterhalb” der bekannten Hits und der Born to Run / Born in the USA hinein arbeitete (glaubt mir, dazu reicht ein Jahr nicht aus), war ich doch schon ganz schön neugierig. Ich hatte richtig Lust auf dieses Buch und fing einfach an zu lesen, obgleich ich noch 2 andere Bücher “in Bearbeitung” hatte. Heute nun beendete ich die knapp 600 Seiten und muß sagen, daß ich nicht enttäuscht wurde. Der Schreibstil von Peter Ames Carlin ist richtig gut. Er macht das Lesen und vor allem das Verstehen sehr einfach und kann auch von den frühen Bandtagen als Schülercombo bis hin zur Stadion-Rock-Phase sämtliche Anekdoten und Beziehungen unter den Protagonisten spannend und anschaulich transportieren. Das Buch liest sich angenehm unaufgeregt und vor allem mit einer sehr wohl tuenden Distanz. 600 Seiten “Springsteen ist der Größte”-Gelobhudel hätte ich nicht ausgehalten, glaubt mir. Carlin zeichnet hier zwar auch den begnadeten Songschreiber und Bandleader Bruce S., allerdings auch mehr als ein Mal den kauzigen, bisweilen grummelnden Freak, den akribischen Frickler, den besessenen Perfektionisten und auch den gescheiterten Ehemann und aber auch späteren Vater sehr, sehr plastisch und anschaulich. Was es für mich so richtig interessant und lesbar macht, das Buch, das ist sein permanenter Bezug zu den einzelnen Alben. Nachdem man am Anfang in die Familiengeschichte der Springsteens eingeführt wurde, hat man erst einmal einen Grundstock an Bezugspunkten zum Boss. Man versteht da schon einiges besser, was er so tat, tut, sang, singt, sagte und sagt. Aber wenn man dann die Entstehungsgeschichten der einzelnen Alben quasi miterleben kann und weiß, was gerade los war bei und um Springsteen, dann bekommen die Alben gleich nochmal einen neuen Kick, neue Facetten. Man muß sie dann förmlich erst einmal heraus suchen und sie sich nochmal anhören… zumindest ging es mir so. Das Buch läßt auch die tragischen Teile der Springsteen-Story nicht außen vor, würdigt auch die, die es verdienen und streicht die besondere Beziehung zwischen dem Boss und dem Big Man heraus; was bekannter Maßen ein trauriges Ende findet, als Clemons wenige Tage nach einem offensichtlich sehr, sehr positiven Treffen mit dem Autor verstarb. Wer Springsteen interessant findet oder ihn mag, man muß noch nicht einmal Fan sein, das Buch ist dies auch nicht immer, der hat in dem Buch einen guten Begleiter.

Der größte Verdienst dieses Buches ist zweifelsohne die schon beschriebene musikalische Zeitreise, die man antreten kann, wenn man sich darauf einläßt. Man entdeckt die Alben des Boss nochmal neu, versteht auch einige Hintergründe. Außerdem ist es sehr angenehm, mal nicht mit unreflektierter Heldenverehrung zu geschüttet zu werden, sondern ein reflektiertes Bild zu erhalten. Der Boss wird als herzensguter Mensch beschrieben, der aber auch einem gepflegten Wutanfall bisweilen nicht abgeneigt ist. Perfekt ist ist nicht, aber das weiß man schon vorher. Das einzig Negative, das ich sagen kann über das Buch ist die zunehmende Erzählgeschwindigkeit. Gegen Ende hat man manchmal den Eindruck, daß man in wenigen Seiten durch die Entstehungsgeschichte eines Albums hindurch rast. Wo hingegen es am Anfang noch mehrere Kapitel brauchte um die ersten Scheiben entstehen zu lassen. Aber gut, sonst wäre man wohl deutlich in Richtung 1000 Seiten gegangen und das wäre evtl. dann doch etwas gut gemeint vom Umfang her – von daher sollte man diesen Kritikpunkt auch nicht über bewerten.

Ich glaube, mit diesem Buch habe ich den Kern der Begeisterung einiger Menschen für (sinnvolle) (Auto-)Biographien verstanden; kann sie sogar streckenweise nachvollziehen. Aber so richtig packen kann mich dieses Genre trotzdem nicht (im Gegensatz zu “Bruce” und "auch “White Line Fever”). Ich glaube, es braucht einfach ein besonderes Buch über einen besonderen Musiker um mich zu reizen – PLUS ein interessantes, übergeordnetes Thema. Und das, was wiederum die einzige, aber auch die ungleich größte Gemeinsamkeit zwischen Lemmy und dem Boss ist, haben beide Bücher als zentrales Motiv: die Entwicklung des Rock’n Roll. Und zwar von Beginn an! Lemmy aus einer ganz anderen Perspektive und Weltsicht heraus als Springsteen, was auch an den fundamental verschiedenen Charakteren der beiden liegt. Aber beide haben ihr Leben lang am Puls der Rock Musik gelebt und es geschafft, heute noch relevant und vor allem “da” zu sein (bei Lemmy grenzt letzteres sicherlich noch mehr an ein Wunder als beim asketischen Bruce). Man bewegt sich sozusagen mit dem Boss durch eine Zeit mit mehreren musikalischen Legenden, wie auch zuvor mit Lemmy. Leute, die man aus alten schwarz-weiß-Einspielern kennt, Leute, die man gefühlt nur mit einem Hintergrundrauschen singen hörte. Leute, die schon lange, lange Geschichte sind aber irgendwie doch wieder kurz lebendig werden im Buch. DAS ist für mich das eigentliche Faszinosum an dem Buch.

Da können ein Bobbele oder ein Diiiieeeeeeetaaaaaa in ihrer gewohnt hochklassigen Ausdrucksweise noch so viel darüber herum schmierfinken, welche “Bitches” sie in irgendwelchen Treppenhäusern und/oder Besenkammern geknattert haben – diese Würstchen werden es mit ihren Machwerken nie schaffen, eine solche Faszination beim Leser auf zu bauen. Und wißt ihr was: Das ist auch verflucht noch mal gut so!

Rock’n Roll, Mann! 

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