Montag, 17. Januar 2011

WARSAW (OR THE FIRST BREATH YOU TAKE AFTER YOU GIVE UP)

(Them Crooked Vultures)

Shalömchen! Uii, seit ich hier wieder einmal meine, sagen wir mal „leichte Affinität“ zu Pearl Jam textlich verarbeitet habe, geht’s ja ganz schön rund hier im Blog. Richtig so! Das zeigt mir, daß die Alphabetisierungsquote unserer PISA-Ruine dann doch höher ist als befürchtet. Da tut eine kleine Pause von der Musik mal Not… zum Durchschnaufen quasi. Wenn man den nebulösen Ankündigungen der Jungs glaubt, kommt im Jahr des 20jährigen Bandjubiläums ja noch ne Menge auf uns zu, was man hier genüsslich breittreten kann.

Heute will ich aber mal wieder meinem Bildungsauftrag gerecht werden und zur Klärung einer der zentralsten Fragen der letzten Wochen und Monate beitragen. Habt ihr denn nicht auch verwundert auf die Meldungen der Feuilletons gestarrt und euch verwundert die Augen gerieben?! Habt ihr euch denn nicht auch gefragt, was so ein „Wutbürger“ ist und vor allem was der tut?! Also ich habe dies getan. Die erstbeste Erklärung „der demonstriert“ greift da doch zu kurz. Demonstrieren kann jeder, auch ich. Wenn ich dann aber demonstriere, fühle ich mich nicht gleich als „WUTbürger“. Wut ist so eine schrecklich negativ besetzte Emotion, warum man ausgerechnet die nun als Metapher für politisches Bewusstsein hervor kramt, ist mir schleierhaft. Was war denn an der guten alten „Zivilgesellschaft“ so falsch? Da wurde auch demonstriert, aber ohne gleich die Furie im Einwohner zu erwecken. Aber ich merke schon, die Zivilgesellschaft hat ausgedient; also ist „Wutbürger“ das neue Schlagwort für kritische Geister, womit man ihnen auch gleich wieder einen guten Teil der Glaubwürdigkeit nimmt (ob nun absichtlich oder nicht, sei mal dahin gestellt). Hauptsache das Schlagwort rockt die Titelseite; erbärmlich! Aber egal, ich habe mich zwangsläufig gefragt, was ich mit einem „Wutbürger“ so assoziiere, oder besser: was glaube ich denn, was ein „Wutbürger“ so den ganzen Tag lang macht. Und schwupps fand sich meine überbordende Phantasie herausgefordert und ich sah die Welt durch die Augen des Schnittmusters jener neu entdeckten Lebensform. Ich war, für einen Tag zumindest, Malte Walckowiak -  Butzelfinger, seines Zeichens Vorwüterisch einer Bürgerinitiative gegen die Diskriminierung rumänischer Gebirgsziegenböcke. Was ich an diesem Tag so erlebte, sollt ihr nun erfahren. Für Vollständigkeit und politische Korrektheit des Erlebten übernehme ich keinerlei Garantie! Erstens ist es nur aus dem Gedächtnisprotokoll nach dechiffriert und zweitens war der Mate-Tee Konsum dieser Gestalt zu viel für meine Zurechnungsfähigkeit. Aber am Ende dieses Tages wusste ich zumindest, wo die „Wut“ herkommt… :

08:00 Uhr: Vom Wecker in meiner freien Traumentfaltung behindert! SKANDAL!!! Habe diese imperialistische Radauwumme in die ewigen Jagdgründe gesnoozed! Anschließend wieder seufzend uns Körnerkissen gesunken um weiter von der perfekten Welt zu träumen (einer Welt ohne Wecker).

08:34 Uhr: Kommunenmitglied/-in Birte schlurft im Baströckchen durch mein Zimmer um sich einen Dinkelmatzen zu braten. War wohl doch keine so gute Idee die Küchentür mit zur S21 - Demo zu nehmen, zumal das Glasfenster dem Wasserwerfer irgendwie nicht stand hielt. Da der Geruch aus der Küche mich voraussichtlich nicht mehr schlafen lässt beschließe ich unverzüglich…

10:15 Uhr: … aufzustehen. Ich prangere Birtes Rücksichtslosigkeit in Form eines eilig geschriebenen Plakates an! (Aufschrift: SO NICHT, FROLLEIN!!!!) So ausgerüstet begebe ich mich in die Küche. Während ich meinen lauwarmen Mate-Tee aus der selbst getöpferten Motto-Tasse „Weltfrieden“ schlürfe durchforste ich die BILD von gestern. Entsetzt stelle ich fest, daß Berlusconi schon wieder ungestraft einen Hitlerwitz im Parlament gerissen hat. Wolle, Socke, Birte und ich (womit unsere Kommune komplett wäre) diskutieren das aus und beschließen auf diesem Missstand aufmerksam zu machen, indem wir uns über Mittag vor einer beliebigen Pizzaria anketten und die „Internationale“ singen. Unsere italienischstämmigen Mitbürger haben unsere Solidarität verdient und so bin ich mir auch der uneingeschränkten Solidarität der Pizzabäcker sicher.

11:53 Uhr: Kommen vor der Pizzaria „Cosa Nostra“ an… haben die Ketten vergessen.

11:54 Uhr: Beginnen trotzdem zu singen.

11:55 Uhr: Während Birte und ich unseren italienischstämmigen Mitbürger/-innen kinetisch überlegen sind, werden Wolle und Socke von den Pizzabäckern physisch von der Legitimität der italienischen Herrschaftsverhältnisse überzeugt.

12:00 Uhr: Birte und ich beschließen uns bei einem Kebap zu erholen. Die Wartezeit versuche ich dazu zu nutzen an das Gewissen des Dönermannes zu appellieren und nachdrücklich einen korrekten Umgang mit den Kurden einzufordern.

12:04 Uhr: Komisch, irgendwas stimmt mit diesem Kebap nicht; aber ich will auch keinem was unterstellen.

13:00 Uhr: Wir verteilen in der Innenstadt Flugblätter gegen die Atompolitik der Bundesregierung. Der Versuch ein Rentnerehepaar aus Oberammergau zu einer symbolischen Sitzblockade auf den Straßenbahnschienen zu überreden scheitert kläglich an ihrem Zivi! Faschist; bloß gut, daß dieses konterrevolutionäre Pack von der CSU gerade abgeschafft wurde!

14:00 Uhr: Haben das erste Flugblatt an den Mann gebracht, ein großartiges Gefühl. Die dreijährige, der Birte es in die Kapuze steckte machte einen sehr engagierten Eindruck. Der Umsturz beginnt!

15:00 Uhr: Wir stellen uns neben eine gemischtgeschlechtliche Gruppe Venezuelaner/-innen mit Pan – Flöten und schauen jeden Passanten, der nichts in den Sombrero tut anklagend an.

15:10 Uhr: Ganz schön hart so eine Panflöte, Birte versucht die Blutung mit frisch angekautem Mulch zu stillen. Nach etwa 2 Litern klappt das dann auch.

16:00 Uhr: Mir ist zwar immer noch schummrig, aber trotzdem verfasse ich eine E-Mail an die Verbraucherschutzministerin, in welchem ich den Erlaß einer neuen Gaststättenverordnung vehement einfordere, welche die Bezeichnung „Zigeunerschnitzel“ endgültig von deutschen Speisekarten verbannt. Um meine Weltoffenheit zu demonstrieren unterzeichne ich mit dem Namen meines palästinensischen Brieffreundes „Muhammad al Intifada“.

16:15 Uhr: Birte hat beim Korrekturlesen den defätistischen Gedanken geäußert, daß „das doch nicht so schlimm sei“! Weil das mit der Basisdemokratie zu zweit nicht funktioniert einigen wir uns darauf, daß es zumindest „Zigeunerschnitzel/-in“ heißen soll!

17:00 Uhr: Die Antwort trifft schneller ein  als gedacht, ist aber irgendwie komisch nichtssagend. Vielleicht bringt der Dateianhang ja Klärung, ob unser Engagement gewürdigt wird und so klicke ich  „bundestrojaner.exe“ an… !

17:15 Uhr: Der Computer ist ganz schön langsam! Liegt wohl am aus Windenergie gewonnenen Ökostrom… die Mühlen scheinen sich gerade langsamer zu drehen.

18:00 Uhr: Wolle und Socke kommen auf Krücken in die WG gehinkt. Ich rüge sie sofort, weil sie die in Plastik eingeschweißten Einweg-Kompressen gekauft haben um ihre Schnittwunden zu versorgen. Außerdem weigert sich Socke doch tatsächlich seine Schmerzmittel für Afrika zu spenden!! Kein Fitzelchen Engagement! Unglaublich! DEIN ARSCH KOMMT AUF MEINE LISTE!!!

18:01 Uhr: Ich bin Wolle und Socke kinetisch überlegen.

18:02 Uhr: Bin ins Nachbarhaus geflüchtet und nutze die Gelegenheit den argentinischen Restaurantbetreiber ins Gewissen zu reden, daß er im Interesse der Tierrechte seine Futtertheke doch gefälligst auf vegane Küche umzustellen hat.

18:59 Uhr: Nach der Erstversorgung gibt mir der nette Sanitäter eine Packung 1800er Ibuprophen mit den Worten „aber nicht gleich wieder alles spenden!“. Mein geschwollener Kiefer verhindert, daß ich diesem Unmenschen die passende Antwort geben kann. Ich kann nur noch knurren.

19:00 Uhr: Verstehe jetzt was er meinte, behalte die Pillen.

20:00 Uhr: Wieder in der WG angekommen. Wolle und Socke liegen neben mir auf dem Sofa. Schnorre mir eine Einwegkompresse und gebe eine Runde Ibus aus. Hunger! Birte füttert uns mit pürierten Dinkelmatzen, während wir uns die besten Folgen „Kulturzeit“ aus 2006 auf DVD reinziehen.

22:00 Uhr: Ich trinke einen letzten Mate-Tee durch einen ökologisch abbaubaren Strohhalm. Wir spielen alle zusammen zum müde werden unser Lieblingsspiel „Imperialisten-Raten“. Wolle und Socke kriegen sich nicht mehr ein, als ich zischend versuche „Sarkozy“ zu lösen.

23:00 Uhr: Ich liege entnervt im Bett. Mein Schädel pocht bestialisch und vor meinem Zimmer höre ich Wolle und Socke mit ihren Krücken unentwegt über den Gang klappern. Das Schlimmste ist aber dieser Gestank; während ich langsam in einen Dämmerschlaf hinüberdrifte, der von einer Ohnmacht nicht wirklich weit entfernt ist, frisst sich mir der Geruch angebrannter Dinkelmatzen in die Schleimhäute; Dinkelmatzen… DINKELMATZEN!!!!!

6 Kommentare:

  1. Ich glaube, ich sollte nicht erwähnen, dass es Gemüsebratlinge zum Abendbrot gab und ich vorhin die Matzen alle gemacht habe.
    Also sag ich lieber, dass ich sehr lachen musste und du das fein gemacht hast.

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  2. Hihi, jetzt hat es wenigstens einen Sinn gekriegt, dass dieses bescheuerte - darf ich hier doch sagen, oder? Ok, ok, ich weiß, dass das nicht politisch korrekt ist - also dieses akustisch fragwürdige Wort zum Unwort des vergangenen Jahres gekürt wurde.
    Wer kommt eigentlich auf so was bzw. wer sucht die aus? Mir war das Buchstabengebilde "Wutbürger" bis zur Preisverleihung irgendwie entgangen.

    Irgendwie scheint sich Pisa bei mir voll zu bestätigen: Was sind in diesem Zusammenhang Matzen? Für mich ist ein Matz = Kind. Die darf man nicht in die Pfanne hauen! Allerdings was die Mätzchen angeht = verbotene Dinge tun, das traue ich JEDEM zu, vor allem aber dem Wutbürger.

    Grüße! N.

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  3. Liebe Nelja, Matzen sind Waffeln, die ganz dünn sind und nur aus Wasser und Mehl bestehen (und vielleicht ein bisschen Salz). Schmecken pur irgendwie nach gar nichts.

    Und die GFDS kürt jedes Jahr ein Wort, das prägend oder beschreibend für das letzte Jahr war. Das ist nicht das häufigst genutzte Wort (kann es aber auch sein). Wutbürger war übrigens das Wort des Jahres. Das Unwort ist eher das häufigst, sinnlos genutzte Wort. Und wird erst noch gekürt. Meiner Meinung nach könnten das dieses Jahr die "kriegsähnlichen Zustände" werden. Aber wir werden sehen...

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  4. edit: seit vorhin ist es raus. Ich lag daneben. Es ist: alternativlos

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  5. NATÜRLICH darf man hier "bescheuert" sagen! Ich bitte sogar darum! ;-) Hab den ganzen Quatsch hier nicht umsonst unter das Banner der schimpfwortbegünstigenden FSK 18 gebaut. Mit politischer Korrektheit verhält sich das ähnlich... immer druff! :-D

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  6. Alternativlos - das hat unsere Kanzler-Mutti im letzten Jahr ganz oft gesagt. Ja, daran erinnere ich mich. Immer dann, wenn sie keine Demokratie gebrauchen konnte, denn die bedeutet ja, dass man immer eine Alternative hat. Oder habe ich da mal wieder was durcheinander gebracht?

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