Mittwoch, 24. Oktober 2012

LIVE TO TELL THE TALE

(Nightwish)

Schiff Ahoi, liebe Landratten. Die treue Stammleserschaft wird es wissen: Die MsPittilimäki macht gerade eine kleine Ausfahrt. Nicht etwa mit einem schnöden Reisebus oder einer Rikscha, nein, sie hat sich quasi die Königin aller Fahrgeschäfte ausgesucht: Die Fähre. Selbige bringt sie von Helsinki nach Stockholm und nach einem Sightseeing-Tag in Schwedens Kapitole dann auch wieder zurück. Mit an Bord sind neben ihren Begleitern aus der International-Truppe der Uni höchstwahrscheinlich jede Menge Finnen. Und erst DAS macht es so besonders. Experten (also ich) sprechen in diesem Zusammenhang auch längst nicht mehr von einer ordinären Fähre, sondern vom berühmt berüchtigten “Saufboot”. Verstehen kann das nur, wer selbst mal diesen Trip gemacht hat. Ich wäre wirklich sooooooooooo gerne dabei, dieser Ausflug wird schräg, amüsant, skurril und denkwürdig werden.

Bei mir damals war es jedenfalls damals, im fernen Jahr 2003 der Fall. Wir entschieden uns zum Trip nach Stockholm, suchten ein halbes Dutzend Gleichgesinnte aus allen Ecken der Welt zusammen und ließen die indonesische Botschaft in Helsinki das Ganze organisieren. Gut, und die in Stockholm, aber das ist – so merkwürdig wie es klingt – eine andere Geschichte. Jedenfalls betraten wir am Nachmittag das dann doch beeindruckend große Aquamobil und wurden schon vor dem Betreten der Kabine auf das vorbereitet, was uns die folgenden beiden Nächte auf See begleiten würde: besoffene Finnen. Der Kahn hatte seine Pforten noch gar nicht lange geöffnet, vielleicht ein oder zwei Stunden und schon lagen uns, als wir zu unserer Butze wollten, zwei Einheimische rotzbesoffen im Kabinengang im Weg. Mehr kriechend als laufend schleppten sie sich über den Gang. Nach einem keinen Rundgang auf dem Schiff, welcher beim Auslaufen auf dem obersten Deck endete, wo wir den Lichtern Helsinkis beim Auslaufen zuwinkten (macht man halt so) und uns im 40Grad Winkel in den doch recht intensiven Wind lehnten, beschlossen wir den Abend mit ein paar Bierchen zu verbringen. Diese Schiffe bieten einem amüsierwilligen Austauschstudi Anfang 20 fast alles. Bars, Discos (mit allerdings vergleichsweise hochwertiger Musik… nicht so ein Geaffe wie in unseren Clubs, da spielt man ROCK) oder irgend etwas, das wohl bei Abendprogramm im weitesten Sinne als Varietee bezeichnen könnte. Gediegener halt. Und natürlich Duty – Free Shops von Ausmaßen einer mittelgroßen Edeka-Filiale. Diese wurden auch, nein, nicht “genutzt” im eigentlichen Sinne, sie wurden schier “überrannt”. Wir mußten über zu Boden gegangene Toblerone-Tafeln und unter der Last der angesackten Bierpaletten eingeknickte Mitreisende steigen um zur Kasse zu gelangen. Im Vergleich zu unseren Preisvorstellungen ist das nicht wirklich billig, aber da wir fast 2 Monate Zeit hatten uns an die finnische Definition von “Bierpreis” zu gewöhnen, waren das schon Schnäppchen. Wir verstauten ein paar Büchsen Bier, Fresskram, Likörchen und Wein (glaube ich) in der Kabine und stürzten uns ins maritime Nachtleben. Ja, wir feierten. Wir tranken auch das eine oder andere Bier, tanzten und hatten Spaß. Aus Sicht der Finnen jedoch müssen wir gewirkt haben wie Asketen. Ihr macht euch ja kein Bild Leute… alle Altersstufen, jeder mit mindestens einem Getränk in der Hand und in vorhersehbaren Abständen (sehr kurzen Abständen) torkelte ein sturzbesoffener und/oder enthemmt gröhlender Mitreisender an uns vorbei. Vergeßt dieses Trugbild vom introvertierten Finnen. Ich halte es ohnehin für übertrieben. Die sind nicht “wortkarg”, “schweigsam” oder “zurückhaltend” im engeren Sinne. Die sind eher angenehm, weil sie einen nicht mit belangloser Selbstdarstellung zutexten oder  passiv aggressiv anmuffeln. Beides Schwächen anderer Nationen, auch der unseren. Wenn man sie dann aber erst einmal ein wenig kennen gelernt hat, dann gehen die Finnen zum Teil richtig ab. Wenn man sie kennen gelernt hat oder eben wenn man mehre Hundertschaften von ihnen auf ein über die Baltic-Sea schipperndes Boot steckt. Irgendwann gegen 10 (geschätzter Näherungswert) waren eigentlich alle schon gezeichnet, vor allem das Schiff. Aber es lief alles erstaunlich friedlich ab. Wir verließen das Treiben irgendwann um in der Kabine, ein für 4 Leute ausgelegtes Schließfach das wir in einen 9 – Leute Gemeinschaftssaal umfunktionierten, die erstandenen Alkoholreserven mit ein paar Trinkspielen zu dezimieren. Dann gings nochmal ins Getümmel und anschließend für einige wenige Stunden in die Koje. Die härtesten unter uns – ich gehörte natürlich dazu – standen dann kurz nach 7 oben auf Deck und genossen das Einlaufen in den Hafen von Stockholm, garniert mit einem beeindruckenden Sonnenaufgang. Das ist wirklich ein Erlebnis, auch wenn es unspektakulär klingt, aber man schippert da durch eine langsam aufleuchtende Landschaft mit Schwedenhäuschen, Wäldern und allerhand Fischerbooten hindurch. Toll! Jedenfalls einer der Tipps, die ich MsPittili auch gegeben habe. Nach dem improvisierten Frühstück ging es dann nach dem Anlegen auf zur Stockholm – Tour. Die Hälfte der Kabinen (konservativ geschätzt) hatte diese “Please do not disturb” – Schilder am Türknauf baumeln. Der Finne reist nämlich nicht zwingend nach Stockholm um Stockholm zu sehen, nein, der Weg ist das Ziel. So kam es, daß unzählige Räusche im Hafenbecken ausgeschlafen wurden, während wir einen tollen Tag in Stockholm verlebten. Als wir dann am Abend wieder auf das Schiff zurück kehrten waren die meisten der Schilder verschwunden, dafür waren wieder mehr Finnen wach. Auf gings in die zweite Runde. Diesmal noch eine Spur exzessiver, es ging ja schließlich wieder “nach Hause” für die meisten. Will heißen: Die schossen sich so richtig ab. Ich werde wohl nie vergessen, wie wir am recht späten Abend mit einem Olut beisammen standen und ein Kerl im Anzug, Mitte 40, seriöse, gepflegte Erscheinung allerdings schon deutlich vom Rausch gezeichnet auf uns zu kam und uns anquatschte. Wir mussten interessant aussehen, sonst hätte der schließlich nicht freiwillig seinen Glücksspielautomaten verlassen. Gut, wir waren auch ne bunte Truppe… also: wir waren interessant. Jedenfalls erzählte uns der Mann, daß er diesen Trip jedes Jahr zirka vier Mal macht, bevorzugt, wenn die Gattin ihre Eltern besucht und er dann mal so richtig die Sau raus lassen kann. Diesmal habe er sie erst gar nicht informiert, sie fände das nämlich nicht so toll – hohoho! Zwinkerndes Smiley Er war auch beruflich recht hoch angesiedelt vom Prestige her, ich weiß zwar nicht mehr genau, was er gemacht hat, aber es reichte, daß er selbst auf dem Saufboot im Anzug herumtorkelte. Auch er zählte zu den Schläfern, Stockholm sei ihm bekannt – alles schon gesehen. Als sein Bier leer war verließ er uns wieder und verschwand in der Menge und ward nicht mehr gesehen. Wir feierten auch noch ein bissel mit in den verschiedenen Locations, tranken das eine oder andere Bierchen und waren aus finnischer Sicht trotz allem bestenfalls Amateure. Irgendwann mitten in der Nacht nahm dann der Wellengang zu, was allgemein recht negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Passagiere hatte – laßt es mich mal so ausdrücken. Das eigentliche Wunder jedoch geschah am nächsten Tag. Hoffnungslos übermüdet verließen wir das Schiff und mit uns – jetzt kommt das Wunder – fast alle anderen Passagiere. Wenn man die Szenen der Nacht noch vor Augen hatte war das nur als Wunder zu bezeichnen. Gläser, Flaschen, Klopapier und ein paar blutige Handtücher lagen zwar kreuz und quer auf dem Schiff verteilt, aber die, die sie dort platziert hatten schleppten sich am Ende dann doch wieder an Land. Bisweilen hatte das optisch was von “Zombieapokalypse”, sicherlich, aber ich fand das bewundernswert. Was die Kerle in den vergangenen 2 Nächten alles weg gelitert hatten und nun konnten sie wieder laufen… unfassbar. Fast alle schleppten einen der extra hergestellten und im Duty-Free enorm beliebten Trollies hinter sich her, auf welchem man exakt die erlaubte Menge Bier unterbringen konnte. Klar – fürn Weg.

Jaja, die Erinnerungen – jetzt, wo MsPittili die selbe Tour macht, kommen sie wieder hoch. Smiley Schön wars, eben weil es so skurril war, so exzessiv und hedonistisch, was da auf dem Schiff um einen herum abging. Darauf hatte uns keiner vorbereitet, was es nur noch spaßiger machte das Ganze. Wir haben auch gefeiert, das könnt ihr glauben, und zwar nicht zu knapp - aber gegen die Finnen waren wir nur bessere Amateure. Auf Schiffen, da sind nämlich wir Nichtsuomis plötzlich die Introvertierten. Jedenfalls war das denkwürdig, dieser Ausflug. Ein Riesenspaß obendrein und wie ich beim Schreiben gemerkt habe, etwas, das man irgendwie nicht vergisst. Eigentlich genau so wie das ganze Auslandssemester. Drum lasst uns der Ms. die Daumen drücken, daß sie eine wirklich gute Zeit auf dem Schiff und in Stockholm hat. Jetzt wird sie es noch nicht wissen – vielleicht aber ahnen – aber in sagen wir mal 9 Jahren, wird sie froh sein, wenn sie jemand an diese Monate und diese Reisen erinnert.

(Allerdings musste ich soeben feststellen, daß MsPittili das ihr von mir nahe gelegte Twitter-Hashtag #Saufboot eigenmächtig in “#Rentnerboot” umgewandelt hat. Da kann irgendwas nicht stimmen… . Zwinkerndes Smiley )

3 Kommentare:

  1. Oh, ich glaube, das liegt an MsPittili. Sie scheint Rentner magisch an zu ziehen, also an sich zu ziehen ... Ich denke da nur an die Wandertruppen im Frühzug zur Weinstraße und in beschwippstem Zustand abends wieder mit ihr zurück. Alles Rentner. Sie selbst natürlich nüchtern, sie war ja schaffen.

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  2. Aber trotzdem verstehe ich die MsPittili-Tweets von gestern jetzt besser. ;D

    Danke fürs aufklären... ;)

    LG

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  3. Also, irgendwie müssen wir uns auf unterschiedliche Schiffen befunden haben. Wir sind zwar unter der Woche Gefahren, aber da Grade breakweek ist (ähhh selfstudyweek) ist das auch kein Argument.
    Auf der hinfahrt war wirklich gar nichts los, als wir unser Gekauftes Bier (ein Seckbach Bier, ein dicknackige Longdrinks, für acht Leute, ich rede hier von kleinen Dosen und 0,25 Flaschen). Noch nicht ganz geöffnet haben , kamen zwei Stewarts oder what ever und Wiesen uns darauf hin, dass trinken hier verboten wäre, wir sollen wenn dann in die Kabine gehen, wo uns keiner sieht und sie nichts machen können. Oder hält ein Steuers Bier in der Bar kaufen.
    Gestern wurde dann doch etwas mehr getrunken, aber deine Geschichten hier kann ich nicht bestätigen. Wir haben sehr gut geschlafen!

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