Montag, 10. Oktober 2011

BERLIN

(Black Rebel Motorcycle Club)

Nelja hat heute über ihren Koffer gebloggt. Klingt auf den ersten Blick nicht sehr spannend, aber das täuscht. Eigentlich geht es ja eh weniger um den Koffer an sich, als um den Ort, an dem er steht und die verbundene Frage an die Leser, wo sie denn ihr Köfferchen gebunkert haben. Dabei geht es weniger um die Besenkammer, in welcher verschiedene Gepäckstücke auf den nächsten Einsatz warten, als um eine Stadt / einen Ort, der einen geprägt hat und an den man immer wieder gerne zurück kehrt. Das ist mitunter viel schwieriger zu beantworten als man glauben mag… vor allem, wenn man sich kurz fassen muß und versucht, die Antwort in einen Kommentar zu zwängen. Ich habs versucht und bin kläglich gescheitert. Also habe ich mir gedacht, ich mache da einfach einen eigenen Blogbeitrag draus. Man möge mir den “Ideenklau” verzeihen, zumal es ja quasi auch ein Kommentar ist… irgendwie.

Meine (Haupt-)Antwort ist dabei nicht sonderlich originell, ja sie weicht noch nicht einmal von der Neljas ab. Sie lautet schlicht und ergreifend: Berlin. Ich verbrachte zunächst einmal knapp die ersten 10 Jahre meines Lebens dort bevor wir 1990 im Spätsommer weg zogen. Wie es mein damaliges einstelliges Alter nun einmal so mit sich bringt, sind einem in dieser Lebensphase politische Ideologien und Zwänge noch relativ bummi und man findet seine Heimatstadt mal so richtig knorke! Vor allem, wenn man in Hellersdorf eine riesige Baustelle vor der Haustür hat, auf der man bis spät in den Abend mit seinen Kumpels herumtollen und spielen kann. Damals war das noch kein Ding, ich fuhr als Achtjähriger alleine mit der U-Bahn zur Schach-AG und zum Judo und es hat einfach keinen interessiert, geschweige denn, daß man selber ernsthaft besorgt war. Das war normal damals, kaum mehr zu glauben heute. Außerdem – und das war auch ein nicht unbedeutender Punkt für meine kulturelle Sozialisation – hatten wir das, wovon in Dresden nur Gerüchte existierten: Westfernsehen. Ich lernte “Bonanza” und "MacGyver” kennen, schaute “Love Boat” (jaja, ich weiß… peinlich) und bisweilen “Star Trek” (Yeahhhh!!!! Der Eckpfeiler meines Seriengeschmacks) und hin und wieder kam meine Mutter mit einer raren Vinyl heim, die sie in irgend einem dubiosen Plattenladen aufgetrieben hatte. So hörte ich als 7jähriger meine erste Cash – Platte und ein paar Jahre früher schon “Thriller” und die Stones. Man dachte sich halt nix dabei, vor allem scherte man sich nicht darum, wie selten und begehrt die Scheiben damals waren (vor allem im Tal der Ahnungslosen). Man hörte sie einfach. In Berlin gab’s das alles, man mußte scheinbar nur clever und kaltschnäuzig genug sein und im richtigen Moment zugreifen. Ich erinnere mich auch noch, wie wir mehrere Stunden an einem alten Laster anstanden um Pfirsische  zu kaufen, welche direkt vom LKW herunter verscherbelt wurden. Die Dinger schmeckten dann aber auch phänomenal! Damals war das alles für mich nicht weiter erwähnenswert, das war halt so. Genau wie die Punks, die wir am Alex sahen (die haben mich voll fasziniert mit ihren grünen Iros…), die waren halt da, die waren irgendwie auch Berlin.

Wenn man ein paar Jahre später zurück blickt, dann erscheint einem das alles in einem ganz anderen Licht. Auch die gesamte Wendezeit, welche ich in der Hauptstadt verweilte… damals war das maximal spanned für mich. Alleine in vollkommen leeren Bahnen rumzufahren wo früher das Leben pulsierte, das war schon ein Erlebnis. Klar, die waren alle “drüben” nachdem die Mauer offen war, aber für mich hatte diese Endzeitstimmung im ÖPNV etwas Faszinierendes. Oder der erste eigene Ausflug in die andere Stadthälfte – kaum zu glauben, daß das die selbe Stadt war… war es aber! Der erste Döner, das erste Westgeld ausgegeben und das Wechselgeld gleich mal verloren. Waren sehr mitreißende Monate damals für einen Neunjährigen. Naja, kurz darauf gings dann ins Gebirge und ich konnte nur mehr oder weniger erschrocken beobachten, was mit meiner alten Umgebung passierte. Ganz ehrlich: Heute möchte ich keinesfalls mehr in Hellersdorf wohnen, schon gar nicht in meinem damaligen Alter. Aber durch diverse Besuche mit meiner Mutter kam ich ja immer wieder nach Berlin zurück. Die Stadt veränderte sich fortwährend… das ist auch heute noch festzustellen finde ich und das macht Berlin immer wieder sehenswert. Als geschichtlich und politisch interessierter Mensch hat Berlin auf mich ohnehin einen eigenen Reitz – einen, der mir als Kind überhaupt nicht klar war! Man findet überall die Spuren bedeutender aber auch schrecklicher Ereignisse und Epochen. Teilweise derart eingebunden ins städtische Selbstverständnis, daß sie kaum mehr auffallen. Diesen Juni zum Beispiel trafen wir in der Nähe der Friedrichstraße auf einen Flakkturm… der stand da einfach so rum. Rings  herum Häuser, ein paar Bäumchen… der fiel gar nicht auf auf den ersten Blick.

Flakkturm

Da eine Tür unverschlossen war, bin ich auf gut Glück mal hinein geschlendert (ich dachte ich täte etwas besonders Waghalsiges… ‘nen alten Flakkturm auf eigene Faust erkunden… huhuuuuu, spannend). Falls die Tür zufiel, stand draußen ja meine kleine Schwester Schmiere. Ich traf nach mehreren Metern und Windungen Stahlbetongang plötzlich auf eine Frau in feinstem Zwirn am Edelholzschreibtisch, die mich fragte, ob ich denn die Kunstausstellung besuchen wolle – man bräuchte dafür nämlich eine Online-Anmeldung und die Warteliste, das könne sie mir versichern, die sei laaaaaaaang! Tja, in Chemnitz erlebt man sowas nicht Zwinkerndes Smiley.

Ich versuche mindestens ein Mal im Jahr nach Berlin zu kommen. Während des Studiums waren es meist Tagestouren mit dem Wochenendticket, in den letzten Jahren etwas ausgedehntere Konzerturlaube, bei welchen man einfach ein paar Tage für die Stadt einplante neben dem “Main Event”, welches bevorzugt “Pearl Jam” hieß und in meiner absoluten Lieblingslocation stattfand, der Wuhlheide.

Wuhlheide

Außerdem war Berlin Startpunkt meines Finnland-Semesters, ein weiterer dicker, fetter Pluspunkt! Zumal ich in Finnland dann ja auch nen Extrakoffer gebunkert habe.

Na egal, ich habe ungefähr erst 10% dessen gepostet, was ich für meinen Teil mit Berlin verbinde. Es ist immer wieder eine Freude in diese Stadt zurück zu kehren. Ich kenne sie zwar noch und mich recht gut in ihr aus, aber es gibt immer Neues zu entdecken. Ja, mein Koffer steht auch da, in der Bundeshauptstadt. Mal sehen, welches musikalische Highlight mich 2012 wieder in die alte Heimat zieht, aber eins steht fest: ich freue mich jetzt schon drauf!

Skyline

PS: Hier nochmal der Link zu Neljas Posting, welches diesen Beitrag ja erst provoziert hat. Dem Ursprung sozusagen.

6 Kommentare:

  1. Wie praktisch einen Mann zu haben, der einen Koffer im gleichen Land hat wie man selber... Und obwohl Berlin ja sogar in meinem Pass verankert ist, habe ich da keinen Koffer.
    Im Moment habe ich noch einen kleinen in Karlsruhe. Mal sehen, ob er da stehen bleibt, oder ob ich den irgendwann woanders hin stelle...

    Aber eine sehr schöne Homage... nur die Meerschweinchen hast du vergessen. Und deine Begegnung mit Herrn Hoecker... Oh mann, du hast so viele coole Kindheitsgeschichten.

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  2. Herr Hoecker... hehe, genialer Verschreiber! ;-)

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  3. Hehe, oh ja Hoecker (tut mir Leid, Kind, aber der ist echt genial).

    Ach das ist schön, mit Abstand der beste Kommentar zu meiner Frage !!!!
    Grüße! N.

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  4. was für ein durch und durch symphatischer post... :) (bin beim freischwebenden googlen vorbeigekommen)

    als häte ich nicht sowieso schon auch einen imaginären, mindestens brustbeutel in berlin.... :)

    (und 1A musikwahl)

    lg paula

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