Samstag, 23. Juli 2011

IMMORTALITY

(Pearl Jam)

Ich bin heute aus Jena heim gekehrt, mit dem Auto versteht sich. Wenn man aus der Stadt zur Autobahn strebt, so muß man zwangsläufig durch Lobeda fahren. Jena Lobeda, das ist so ein bissel wie Berlin Hellersdorf, nur provinzieller und unter ästhetischen Gesichtspunkten noch ne kleine Spur hässlicher. Eine jener DDR – Plattenbausiedlungen, welche der Erich damals hochgezogen hat um das Proletariat zwischen Stadtkern und suburbanem Raum zwangszukasernieren. Bevor hier die großen Lokalpatriotismen greifen und man mich verständnislos ob des Vergleiches der Hauptstadt mit der thüringischen De-Facto-Provinz rügt, sei kurz erwähnt, daß ich selber ein paar Jahre in Hellersdorf wohnte – also nicht ganz ahnungslos bin. Als ich also so durch Lobeda fuhr,  wurde ich an einer Fußgängerampel zu einem Zwischenstopp gezwungen. Erst überquerte flinken Schrittes ein bereits am frühen Nachmittag amtlich angeschickerter Zeitgenosse prolligen Schrittes die Straße, bevor von der gegenüber liegenden Straßenseite der Betätiger des Signalknöpfchens die müden Knochen in Bewegung setzte: Ein Rentner! Mit stolz geschwellter Brust schritt der Knacker dann die Reihe der temporär unfreiwillig parkenden Wagen ab, also ob es nix Wichtigeres zu tun gäbe in dieser Stunde. Seine Körpersprache schrie uns entgegen: „Ihr müßt warten, denn hier komme ich! Ich, Heini Klapperknochen, mit meiner postmodernen Handgelenkstasche“! 

Es geht mir hier nicht um das Faktum, daß die Wandermumie ihr gutes Recht wahrnahm eine Fußgängerampel zu benutzen, nein, mir geht es eher um die Kleidung des alten Herren. Habt ihr euch dieser Tage mal die Generation Mauerbau angeschaut, wie die rumrennen?! Es gibt nichts Abwegigeres wie ich finde. Die lose am Handgelenk baumelnde Ledertasche ist ja schon Standard. Wenn ich mir jemals so ein Ding zulegen sollte, habt ihr hiermit die Erlaubnis meinen Rollator zu lüften und mich mit Stefan Mross – Postern zu bewerfen. Dazu tat die stilsichere Kombination von hellblauen, bis unters Kreuzband gezurrten Kniestrümpfen und Treckingsandalen dem Auge des Betrachters ein nicht zu unterschätzendes Leid an. Wo die Strümpfe endeten, da setzten fast übergangslos die kurzen Jeanshosen an, die sich dunkelblau, von einem braunen Kunstledergürtel auf Kurs gehalten und mit erahnbarer Bügelfalte um die greisen Schenkel schmiegten. Das geringelte Polohemd war mit militärischer Präzision in den Hosenbund gestopft und wurde in seiner optischen Akkuranz nur von der schneeweißen Drill-Sergeant-Bürstenfrisur bezwungen. Auf der Nase saß ein Kassengestell aus den frühen 70ern mit diesen sich selbst verdunkelten Sonnenschutzgläsern. So weit, so gut. Aber der eigentliche Brüller, die modische Top-Sünde seiner Generation, die hing müde von seinen schlaffen Schultern herab: Die beige Survivalweste Warum zur Hölle tragen Rentner heutzutage „Survivalweste“? Ich weiß es nicht, aber es fiel mir schon recht oft auf in den letzten Wochen. Bis auf ein paar Kulis, die Lesebrille und nen Flachmann mit Doppelherz scheinen die aufgesetzten Taschen recht leer zu sein. Auch sind die Westen immer in einem beeindruckend guten Zustand, was ihrer normalen Bestimmung ja schon ein wenig zuwider läuft. Keine Löcher oder Riße, die man sich im Nahkampf mit einem Grizzly zugezogen hat, keine eingetrockneten Pulverrückstände von der Großwildjagd oder wenigstens ein lässig aus der Brusttasche lugendes Leatherman – Multitool weisen auf eine nachvollziehbare Nutzungsberechtigung hin, sich für den Verdauungsspaziergang diese Art von Weste über zu werfen. NIE! Auch Angler, denen ich solch eine Weste aus rein praktischen Gesichtspunkten ja noch zugestehen würde, sucht man in den meisten Wohngebieten ja vergebens (zumindest bei der direkten Ausübung ihres Hobbies). Also: Warum??? Hätte man denn das Ensemble aus Socken, Sandalen, Polohemd, Handgelenkstasche und Jeans nicht einfach so stehen lassen können?! Das wäre mir ja schon mehr als genug nach außen getragenes, sündhaftes Modeverständnis. Aber die Riege der rüstigen Tattergreise scheint damit noch so ne Art zusätzliches Statement abgeben zu wollen. Ich habe dann die ganze Heimfahrt darüber nachgedacht, welche Message sich hinter diesem Stoff gewordenen  Wahnsinn verstecken könnte. Ich glaube, ich habe es dann nach langem Nachdenken geknackt, das Rätsel. Die „Survivalweste“ soll wahrscheinlich dem kontinuierlich schrumpfenden Heer der Rentenkassenbeitragszahler den symbolischen Gichtfinger entgegen recken und ihnen ins vom Schuften für den Generationenvertrag verschwitzte Gesicht brüllen: „Noch 30 Jahre Lebensabend! Danke, ihr Luschen!“ 


4 Kommentare:

  1. Die Dinger hießen früher Arbeiterwohnschließfach. Wahrscheinlich kann man das Arbeiter heute substituieren.

    He, der Opa gehörte fotografiert - und zwar für einen dieser obercoolen Street-Fashion-Blogs. Klingt nämlich reichlich schräg.

    Die Weste in beige? Zu dem Outfit? Ich dachte immer, die werden nur zu grauen Hosen aus Silastik mit eingenähter Bügelfalte getragen.

    Grüße! N.

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  2. Hihi - grinsender Piratenkopf. Lustig. Musst nur aufpassen, dass dich der Vermieter nicht verklagt. :)

    Grüße! N.

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  3. Hehe, ja, danke für den Artikel. Hier herrschen mietrechtlich bisweilen halt Sodom und Gomorra. Muß mal sehen, ob ich das Haus und dessen standort hier rausfinden kann.

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  4. YMMD!
    Danke! Ich wollte eben einen ähnlichen Beitrag verfassen und ermitteln, ob und ggf. ab wann diese Westen amtlich zugeilt werden. Das beschäftigt mich seit Wochen und eben in jeder Mittagspause. Es ist schon seine Art Passion geworden, die Westenträger zu zählen und auf die Häufigkeit des Vorkommens in z.B. einem Einkaufszentrum Wetten abzuschließen.
    Aber so richtig, hast Du das Mysterium ja auch nicht aufgeklärt, oder?!

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