(Johnny Cash)
„Ain`t no grave can hold my body down“ Tja, so sieht`s aus… Gott sei Dank.
Ich stelle hier ja nur höchst selten meine Meinung zu irgendwelchen Musiker und deren Alben rein, die das Pearl Jam Universum nicht wenigstens peripher tangieren. Aber ab und an, ab und an muß es einfach mal sein; insbesondere, wenn einem mal wieder ein Geniestreich in die Hände fällt. Mit „Geniestreichen“ ist es ja so eine Sache. Streng genommen gibt es da nur zwei Varianten, entweder man setzt sie beim betreffenden Künstler voraus, oder es erwische einen dermaßen kalt, dass man nur überrascht und mit herunter geklappter Kinnlade ein „Wow“ hervorröcheln kann. Johnny Cash war bis 2003 in die erste Kategorie einzuordnen. Im Jahr 2010, sechs einhalb Jahre nach seinem Tod schwebt er irgendwie zwischen den Welten. Eine Art musikalischer Sonderfall, der sich auch in der Beurteilung seines Werkes nahezu allen gängigen Schubladen und Floskeln entzieht, die man normaler Weise so ansetzen kann. Bislang galt „Hurt“ als sein „Goodbye, Folks“ an die Musikwelt. Song und Video als Symbiose und musikalischer Grabstein des Man in Black, der von tiefer Melancholie geprägt eine unglaubliche Lebensenergie transportierte… kurz vor dem Ende. Eine Interpretation, die Nick Cave nicht düsterer hinbekommen hätte; ein Geniestreich eben. Jetzt, wurde ohne großes Gewese im Vorfeld mit „Ain`t no Grave“ der letzte Part der „American Recordings“ auf den Markt gebracht. Urplötzlich war er wieder da, der Herr Cash. Auf dem Cover ein Kindheitsfoto, das in so dermaßen diametralen Kontrast zu Albumtitel steht, dass es schon einem rotzigen „Fuck You“ an den Sensenmann gleicht.
Man kann ja über solche postmortalen Album-Releases denken, wie man will. Es gibt jedenfalls genug beispiele für sinn- und blutleere Abzocke. Da wird ein ehemals großer Name nach seinem Ableben von den Rechteinhabern und Erben fröhlich ruiniert, indem eilig irgendwelche Demotapes schludrig abgemischt oder ein halbes Dutzend Greatest Hits Alben zusammengeschustert werden. Das hat dann nichts, aber auch gar nichts mehr mit der Musik am Hut, sondern ist skrupellose Geschäftemacherei von Typen, deren Anteil am verkauften Produkt bestenfalls im Promillebereich liegt. Man denke nur an den würdelosen Michael Jackson Hype der letzten Monate. Statt ihn als „Legende“ zu adeln, wie man vorgibt, trägt vom Musical bis zum Schlüpfergummi alles dazu bei eben jene zu zerstören. Profil schlägt Ethik, so ist das nun mal.
Daß dies mit Cashs musikalischem Nachlass nicht geschah, so zumindest meine Meinung, ist zu einem wesentlichen Teil Produzentenlegende Rick Rubin zu verdanken, der eben jene letzten Bänder erst einmal ein paar Jährchen reifen ließ anstatt sie als halbgares Machwerk eilig in den Läden zu platzieren. Natürlich werden auch jetzt die „Sellout-Stimmen“ wieder aufheulen. „Man darf doch nicht…!“ wird es von den üblichen Bedenkenträgern wieder heißen, ohne dass sie auch nur ein Mal ins Album rein gehört haben. Diese Typen haben dann meist auch noch die Chuzpe, das als „konsequent“ zu bezeichnen. Arme Irre. Ich für meinen Teil sage statt „Man darf doch nicht…!“ gleich mal unverhohlen: „Man muß!“. Leute, hört euch die Scheibe an, keiner, der die zehn Songs einmal gehört hat, wird noch ernsthaft den Standpunkt des „künstlerisch minderwertigen Abzockwerkes“ vertreten. Nee, geht nicht… das ist einfach un-mög-lich! Alleine der Titeltrack steht an Eindringlichkeit dem (mittlerweile) legendären „Hurt“ in nichts nach. Sobald man am ersten Refrain angekommen ist, denkt man reflexartig: „Stimmt!“. Unbewußt lehr man sich zurück und hat irgendwie das Gefühl, nach mehreren Jahren getrennter Wege einen alten Freund zufällig wieder getroffen zu haben, mit dem man dann den ganzen Abend bei einem Bierchen über die „alten Zeiten“ reden kann. Gleichzeitig hat es aber auch etwas sehr bedrückendes, denn die Songs verströmen fast durchgängig Cashs Bewusstsein, dass es seine letzten sein werden. Man kann es schlecht beschreiben, aber man spürt, dass er es wusste. Rubin wusste es auch. Entsprechend ist das hier kein fett produziertes, überladenes Pathos-Album sondern wirkt stimmig und im Mittelpunkt steht immer, ausnahmslos Cashs Stimme. Alle Instrumentarien sind sparsam und schon fast behutsam im Hintergrund platziert. Radiotauglich ist davon nichts, fröhlich kaum etwas, aber das wäre auch zu viel verlangt. Eine gewisse Hoffnung transportiert es dennoch… neun Songs lang, bis man von „Aloha Oe“ schon fast erlöst, ja geradezu belustigt wird. Der letzte Song hebt die Stimmung des Albums noch mal deutlich an, als wolle er nach all der Schwermut noch mal ein „Hey, halb so schlimm“ transportieren. Damit wir uns nicht missverstehen, das Lied ist auch nicht gerade „fröhlich“ im engeren Sinne, aber es sticht dann doch heraus… irgendwie… auf eine ganz seltsame Art und Weise.
Man kann „Ain`t no Grave“ als so etwas wie eine musikalische Autobiographie verstehen, die weniger reflektiert, als sich direkt an die Hörerschaft richtet. Seltsam ist, dass einem die Scheibe vom ersten bis zum letzten Ton gefällt. Man kann, ja man muß dieses Album lieben und genießen; so, wie man einen schweren Rotwein genießt. Loslassen wird es einen so schnell nicht mehr. Und ehe man sich versieht, ist sind die zehn Songs rum. Es wird einem mal wieder bewusst, wie sehr einem Johnny Cash eigentlich gefehlt hat und fehlen wird. Solche Alben wird es nun nicht mehr geben! Es sei denn, Rick Rubin hat noch ein paar Bänder im Köcher von denen wir noch nichts ahnen; aber daran habe ich so meine Zweifel. Wahrscheinlicher ist, dass somit in bester Cash-Manier die Karten auf dem Tisch liegen. Und es ist ein verdammt gutes Blatt!!!
Um noch mal das Bild mit dem Pearl Jam Universum aufzugreifen: Das war auch ein wenig geflunkert gebe ich zu. Eines der schönsten Akustik Cover haben sich die Jungs auch vom Altmeister geliehen. Zu schade, dass es nie zum Duett gekommen ist.
(03.03.2010)
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