Sonntag, 19. Dezember 2010

DIE ALTE ZEIT ZURÜCK - Selig im Haus Auensee Leipzig, 17.12.2010

(Selig)

Es schneite wie Ochs’ und die Straßen in heimischen Wohngebieten waren unter einer mehrere Zentimeter dicken Eisschicht begraben. Mal als Beispiel: Freitagvormittag musste ich auf 150 Metern vom Parkplatz bis zur nächst größeren Straße ganze 3 Mal angeschoben werden, da meine (nagelneuen!!!) Winterreifen nur die Eisdecke polierten, den nötigen Vortrieb aber nicht erzeugten. So reifte bereits ab Mittwochabend der Plan, sich die Anreise nach Leipzig etwas stressfreier zu gestalten und das Auto in der Parklücke verharren zu lassen indem man sich zur Abwechslung mal auf die öffentlichen Verkehrsmittel verlässt. Gut, die Zeitplanung wurde damit recht knapp, aber dazu später mehr.

Leipzig? Mag sich der eine oder andere fragen, was will der denn in Leipzig? Nun, ganz einfach: 2010 ließ ich das Konzertjahr mal vergleichsweise ruhig ausklingen. Wie bereits im vorletzten Blog erwähnt, rückte Motörhead diesmal vom festzementierten „Closer“-Platz ein wenig mehr nach innen. Aber auch Monster Magnet waren dieses Jahr nicht das Ende der Fahnenstange, 2010 war das Selig! 



Ein Konzert, auf das ich mich streng genommen seit ca. 16 Jahren freue. Dummer Weise fällt auch die gut 10jährige Schaffenspause der Jungs in diese Zeit. Will heißen: Ernsthaft für möglich gehalten hätte ich das Konzert nie. Jedenfalls nicht, bis letzes Jahr das Come-Back-Album die triumphale Rückkehr (und nichts anderes war es) einläutete. Als im Juni die Tourpläne bestätigt wurden und das Haus Auensee auf der Liste auftauchte, wurden für mich und meine Freundin fix zwei Karten geordert. Der Preis hielt sich mit 31 Tacken auch noch in Grenzen, besonders, wenn man bedenkt, daß damit irgendwo auch ein musikalischer Jugendtraum unerwartet seine Erfüllung fand - auch wenn ich die Indie- Underground- Alternativkaschper mit ihren Vorstellungen von Rockkonzerten zum Selbstkostenpreis mit dieser Meinung wohl böse aufschrecken werde (… Hippies!). Aber gut, die Karten hingen also friedlich neben meinen Eintrittsbillets fürs Space-Hell-Weekend und mit ihnen reifte die Vorfreude. Die Wetterkapriolen wurden selbstredend etwas skeptisch beobachtet, aber wie gesagt: Es gab ja auch die Bahn. Als der 17.12. angebrochen war, stiegen wir also, in winterfeste Kleidung gehüllt, zunächst in die Straßenbahn um im Hbf. schließlich in den überfüllten Regionalexpress zu wechseln. Mit lediglich 50 Minuten Verspätung kamen wir in der Messestadt an und schwangen uns sogleich in die Tram um dann gen Haus Auensee zu zuckeln. Bis hierhin lief also trotz Schnee schon mal alles nach Plan. Gegen 19:15 kamen wir auch am (und schließlich im) Veranstaltungsort an. Gemütlich betraten wir die Venue und entledigten uns erstmal unserer Jacken.
Ein unerwartetes aber dafür umso erfreulicheres Wiedersehen später schlenderten wir sodann zu viert in den Saal und absolvierten von Bierstand bis Merchandise das übliche vorkonzertliche Programm. Allgemein war bis hier hin alles so, wie ich es erwartet hatte. Der Altersdurchschnitt der Besucher kasperte irgendwo jenseits der 30 rum (Schätzung) und die Grundstimmung im Saal war mehr als friedlich; nicht langweilig, sondern eher relaxt und von massiver Vorfreude geprägt. Auch wenn es etwas seltsam anmuten mag, aber wären da nicht diese zwei total straffen Mittvierziger in Hemd und Wollpulli hinter uns gewesen, das Konzert hätte Motörhead 2007 in Erfurt den Rang als chilligstes Konzert meiner Karriere locker abgeknöpft. Wobei nichtmal diese beiden Vögel sonderlich aufdringlich oder nervig waren und durch ein paar Schritte nach vorne konnte man im recht angenehm befüllten Saal locker ein paar Meter Abstand gewinnen, was wir dann auch recht flink taten. Bei all diesen Lobhudeleien muß aber auch ein kritischer Punkt angesprochen werden: Die Bierversorgung. Wenn sich eine Band schon die Tour groß von „Köstritzer Schwarzbier“ sponsern lässt, dann sollte es dieses liquide Ambrosia (hoho… doppelt gemoppelt) gefälligst auch auf dem Konzert geben. Aber leider war außer hellem Fassbier nix zu bekommen und das war geschmacklich bestenfalls mit einer drei plus zu bewerten. Aber gut, wir waren ja auch nicht zum Saufen da.

Schnell hatten wir eine zunächst recht angenehme Position im Saal gefunden und warteten auf den Einstieg ins Konzert. Dieser ließ leider ein wenig auf sich warten und das Fehlen einer Vorband war obendrein auch ein wenig gewöhnungsbedürftig (erwies sich aber am Ende des Abends als richtige Wahl). Irgendwann erlosch zunächst das Licht und die Band betrat langsam die Bühne und begann zu jammen. Als der Herr Plewka schließlich dazu stieß nahm der ganze Soundbrei langsam Form, Rhythmus und Gestalt an und mündete erwartungsgemäß in den Opener „5000 Meilen“. Man merkte bereits während der ersten 3-5 Songs, daß die Jungs richtig Bock haben zu spielen; außerdem wurde klar, daß die einfach mal klasse spielen können und das dann auch noch ziemlich harmonisch zusammen auf die Bretter bekommen. Großartig! Ohne irgendeine Anlaufzeit war man sofort mitten im Konzert und ließ sich einfach nur mitreißen. Dazu trug auch die zwar nicht sehr aufwendige aber umso cleverer eingesetzte Beleuchtung bei. Bunt wars und von sphärisch bis dezent war alles dabei. Das Ganze dann noch getragen von den Herren Neander (übrigens ganz feine Soli!!) und Plewka, die das ganze Konzert über einen ziemlich engen Kontakt zum Publikum hielten. Kurz gesagt: Das ganze Ding kam ziemlich schnell und vor allem ziemlich gut ins Rollen. Nur sie Tanz- und Springfraktion breitete sich relativ zäh vom Bereich direkt vor der Bühne nach Hinten aus, was aber auch am Alter der Anwesenden gelegen haben mag. Aber ich erwischte mich mehrmals, einfach nur breit grinsend dazustehen, und die Arme in die Luft zu reißen um einfach nur mitzusingen. Wie bereits gesagt, man driftete von Anfang an durch den Abend, was aber auch dazu führte, daß mit die korrekte Setlist absolut entfallen ist. Sie war mit einfach nur noch wurscht ehrlich gesagt! Da sie im Internet bislang nicht auffindbar ist, wird es wohl vielen so gegangen sein. Jedenfalls startete man mit sehr viel neuem Material, was aber von Anfang an großartig funktionierte. Die zunächst behutsam, später im Set aber großzügiger eingestreuten alten Stücke schlugen dann auch gleich bombastisch ein. Wer die genaue Setlist will, dem schlage ich vor zu googeln. Ich werde es die Tage auch noch ein paar Mal tun.
Wovon ich so richtig überrascht war, war, wie rockig und unglaublich dynamisch die neuen Stücke live ankommen. Daß sie gut sind, das war ja klar, aber daß man „Freier Fall“ so unglaublich treibend darbieten kann, das war nicht zu erwarten. Auch die naturgemäß etwas rotzigeren Stücken wie „Dramaqueen“ erhielten noch mal einen gewaltigen Schub. Von Song zu Song wurde die Band besser und man selbst glücklicher, daß man das hier miterleben durfte. Als dann auch noch die ersten „Klassiker“ zündeten, war man sich auch sicher, daß es dem Rest um einen herum genau so ging. Man fand sich in einem Meer erhobener Arme wieder. Besonders „Wirklich gute Zeit“ blieb als ein großartiger, ruhiger Moment in einem sonst sehr rockigen Set hängen. Voran getrieben immer wieder von den bemerkenswert euphorischen Ansprachen Plewkas an das Publikum war diese ganze Veranstaltung kein Frontalunterricht, sondern eher eine Art kollektive Zeitreise die einen auch bei den neuen Songs bemerkenswerter Weise immer wieder in die 90er zurück spülte. Irgendwann fand man sich dann plötzlich in „Rauchgemeinschaft“ wieder oder rockte zu „Die Besten“ ab ohne daß man den Übergang zu den alten Songs mitbekam. Großes Kino! Als dann auch noch mein herbei gewünschtes „Bruderlos“ erklang, war ich für den Abend eigentlich schon glücklich. Zumal der Song eigentlich, was Jan auch erklärte, nicht gespielt werden sollte auf der Tour, sich dann aber doch wieder ins Set schlich. Am Ende bildete „Hey Ho“ noch den Abschluß des Mainsets, was noch mal ordentlich Stimmung ins Publikum brachte und einfach nur begeisterte. Das erste Encore wurde dann mit „Sie hat geschrien“ wieder mit extrem hohem Gänsehautfaktor eingeläutet. Der kollektive Chor gab einem dann den Rest, bevor zu „Wir werden uns wiedersehen“ noch mal die ganze Bude dem Siedepunkt entgegen rockte. Einfach nur einmalig der Abend.
Leider mussten wir uns an diesem Punkt ausklinken, da wir unseren Zug noch erreichen mussten. Die Alternative eines fünfstündigen Aufenthalts auf dem Bahnhof in Leipzig war bei den vorherrschenden Witterungsbedingungen nicht wirklich verlockend. Während wir in unsere Jacken schlüpften ertönte im Saal „Wenn ich wollte“ und vom obligatorischen Setcloser „Ohne Dich“ bekamen wir leider nichts mehr mit. Dafür erreichten wir aber unseren (den letzten) Bus just in time und kamen immer noch irgendwie mitsummend am Hauptbahnhof an. Schnell noch was Essbares organisiert und mit dem letzten Regio die Heimreise angetreten.

Was hängen blieb war ein großes Konzerterlebnis mit einer glänzend aufgelegten Band. Die Songs passten alle perfekt zusammen und gingen ebenso nahtlos ineinander über. Ein schöner Querschnitt durch die Geschichte der Band, mit Schwerpunkt auf den beiden neuen Alben. Aber wirklich böse konnte man darüber nicht sein, wie gesagt, das war einfach ganz großes Kino. Als Konzert auch nicht vergleichbar mit den Veranstaltungen, auf denen ich mich sonst so herum treibe, aber vielleicht gerade dadurch so bemerkenswert gut. Sollte es Selig in näherer Zukunft mal wieder in meine Nähe spülen, werde ich auf jeden Fall wieder dabei sein und den geneigten Lesern dieser Zeilen kann ich eigentlich nur das Gleiche empfehlen: Geht da hin! Wenn ihre dann noch einen einfach nur schönen Abschluß des Konzentjahres sucht, ist das eine sehr gute Entscheidung. Es leben die 90er im modernen Gewand. 


Frohes Fest! 

2 Kommentare:

  1. Selbst der kleine GVM hat also Kindheitsträume... Schön, wenn diese dann in Erfüllung gehen. Da fällt mir ein: Wir sollten mal wieder gemeinsam irgendwo ein musikalisches Festelein besuchen. Glückwunsch übrigens dem Herbstmeister.

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  2. Hehe, ja. Mit Selig ist nun aber der letzte große (musikalische) abgehakt. ;-) Glaube ich zumindest... irgendwie. Das mit dem gemeinsamen Konzert klingt supi, mal sehen was 2011 so bringt.

    Zum Tippspiel: Vor ein paar Wochen hätte ich es nicht für möglich gehalten, daß man Oli den Titel noch entreißen kann... krasses Tippspiel dieses Jahr; ähnlich turbulent wie die Liga. :-)

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