Mittwoch, 15. Dezember 2010

WHERE THE STREETS HAVE NO NAME

(U2)

Mein Timing war mal wieder miserabel! Kaum stellt man mal `ne schnieke 20er – Liste von absolut essentiellen Büchern auf, schon kann man sie ein paar Tage später wieder ändern. Nicht, daß ich es hätte kommen sehen… im Gegenteil. Nach längerer Schienenabstinenz schwang ich mich letzte Woche wieder mal ins Eisenross um ein paar Tage im Badenland zu verbringen. Da man dabei aber auch gleich knappe 7 Stunden in den Komfortpersiflagen von Mehdorns Erben zubringen muß (ohne Bordkino, Wii oder wenigstens einen Gaukler), braucht man eine Beschäftigung. Also wird ein viertel Stündchen vor der Abfahrt der Buchladen geentert und, schon traditionell, ein mehr oder weniger bewusst ausgewähltes Büchlein erstanden. So auch letzten Freitag. Als ich so vorm Taschenbuchstapel stand, stellte sich mal wieder die Frage, welches Machwerk es denn nun sein soll. Kurz zu meinen Kriterien. Unter „Thriller“ läuft im Normalfall nix. „Psycho – Thriller“ ist dann schon eher die Orientierungsmarke. Wenn da nur profan „Roman“ steht, muß das Büchlein schon anderweitig überzeugen können, damit es überhaupt nur im Entferntesten in betracht gezogen wird. Das Cover sollte nach Möglichkeit schon auf ein möglichst blutrünstiges Interieur schließen lassen, gern auch mit dem einen oder anderen Insekt verziert, welches in der Lache hockt. Zum Titel würde ich sagen „je abstruser, desto besser“! Ach ja, es sollte auch ein Taschenbuch sein, da ich die Angewohnheit habe Bücher beim Lesen etwas arg zu malträtieren. Wenn ich ein Buch gelesen habe, ist das danach selbst für den größten Deppen umgehend an dessen Zustand erkennbar.
Was auf diese Weise meine Aufmerksamkeit erweckt hat, wird dann erstmal inspiziert, der Klappentext gelesen und begutachtet. Aus einer Auswahl von 3 - 4 Büchlein erwählt man dann spontan jenes, welches einem in dem Moment irgendwie am meisten zusagt. Da ich meistens nicht mehr als 15 Minuten für die Entscheidungsfindung habe (ich bin noch in Verhandlungen mit der Bahn, daß diese sich zukünftig nach mir richtet), muß ich früher oder später zugreifen. Das ist gut, denn es verhindert, daß den halben Tag in der Bude verbringe und am Ende mit einem Spiegel rausmarschiere.
Freitag stand ich also wieder in der Bahnhofsbuchhandlung und ließ meine Blicke schweifen. Anerkennend wurde bei der einen oder anderen Neuerscheinung genickt, bei anderen hätte ich am Liebsten die Flucht ergriffen. Schließlich musste die Wahl zwischen einem mit nun nicht mehr präsenten Thriller über einen Psycho-Serienkiller in Amiland der vom FBI gejagt wird (jaja, ich weiß: SEHR originell…) und einem Büchlein, auf das ich schon im Sommerurlaub ein Auge geworfen hatte fallen. Damals wie letzten Freitag machte mich der Klappentext zwar extrem neugierig, der etwas holprige Titel (und Autor) machten mich aber mindestens ebenso misstrauisch. Denn „Das Buch ohne Namen“ von „Anonymus“ klingt irgendwie ZU offensichtlich auf Mystik getrimmt. Ich hatte die Befürchtung, daß sich dahinter nur so ein drittklassiger Schriebs verbirgt der irgendwie zwanghaft versucht einen auf „geheimnisvolle Schattenwelt“ zu machen. Im August konnte mich das noch abhalten zuzuschlagen und ich verbrachte meinen Urlaub mit Gonko dem Höllenclown („Hölle“ von Will Elliot). Aber Freitag griff ich dann zu. Mein Kalkül war „wenn’s Schrott ist, hab ich immer noch meine Bootlegs!“. Was soll ich sagen, es hat sich definitiv gelohnt! Das Buch ist unter normalen literarischen Maßstäben sicherlich nicht sonderlich erwähnenswert. Aber mit denen sollte man eh nicht an das Büchlein heran gehen. Daß die Charaktere nicht sonderlich ausgefeilt dargestellt werden fällt nicht weiter auf, da sie keine 2 Kapitel weiter im Regelfall ohnehin wieder umgenietet werden. Darüber hinaus basieren sie ohnehin auf derart stereotypen Klischeefiguren, daß man sie ohnehin von der ersten Erwähnung an vor Augen hat. Außerdem wird hier die Story an sich in den Mittelpunkt gerückt, was auch das eigentliche Highlight des Buches ist. Kurze Kapitel, jeweils mit haarsträubenden Cliffhangern versehen, eine Wende nach der anderen eingebaut. Das Ganze erinnert einen ziemlich schnell an einen Tarantino-Film… nur noch ne Ecke blutiger. Die Grundstory ist dabei ganz einfach: Ein mächtiger Stein wird von nahezu allen Einwohnern der abgelegenen Gangsterstadt Santa Mondega gesucht und gejagt. Das ganze würze man dann noch mit Westernelementen, Kampfmönchen, Vampiren, einem Regierungsbeamten mit uneingeschränktem Datenzugriff, Auftragskillern die sich für Elvis halten und einem scheinbar irren Serienkiller, der zum Austicken nichts weiter als ein Glas Bourbon benötigt. Ich fand es großartig! Man kann das Buch kaum zur Seite legen und ich hatte es somit auch sehr schnell durchgelesen. Als ich im Anschluß dann darüber nachdachte, wo ich es denn in der vorangegangenen Liste einordnen würde, einigte ich mich mit mir auf Platz 4! Das Buch macht beim Lesen einfach einen geradezu höllischen Spaß. Die Situationen in welche die Figuren geraten werden immer und immer abgedrehter, der hintergründige Humor mit dem das alles beschrieben wird ist bisweilen derart dunkelschwarz, daß man ganze Kapitel später noch schmunzeln muß. Man ist irgendwann sogar froh, daß auf ein „Psychogramm“ der einzelnen Figuren verzichtet wurde. Was brauche ich auch Informationen über die Handelnden, wenn stattdessen ein und dieselbe Schießerei aus 3 Perspektiven über 25 Seiten geschildert wird?!? Man vermisst es einfach nicht, weil diese einer Mischung aus Comic und Spaghetti-Western entwachsenen Gestalten in die ganze Szenerie so einfach perfekt hinein passen.

Kurzum: Geiles Buch!



Seit gestern besitze ich nun auch den Nachfolger, welcher aber zugegebenermaßen einen noch dämlicheren Titel trägt. Diesen hat er der deutschen Übersetzung zu verdanken! Wie man aus „The Eye of the Moon“ einen rumpliges Wortspiel wie „Das Buch ohne Staben“ machen kann… unverständlich! Aber ist ja auch wurscht! Jeder, der den ersten teil überlebt hat (was sprichwörtlich eine Hand voll Irrer war) ist wieder am Start. Bin mal gespannt, was das literarische B-Movie in seiner Fortsetzung so zu bieten hat. Ich halte es da mal mit dem Klappentext vom „Buch ohne Namen“:


„… und dann wird es blutig werden. Blutiger, als sich irgendjemand vorstellen kann.“

(31.10.2010)

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