Mittwoch, 15. Dezember 2010

I CONTROL, I FLY

(Monster Magnet)


Wenn wir in Deutschland Übung in einer Disziplin haben, dann im “Dagegen-Sein”. Nichts können wir so gut wie das. Wir haben es sogar zu einer derartigen Perfektion darin gebracht, dass wir bisweilen nicht einmal mehr einen Grund brauchen. Was bisweilen durchaus sinnvoll sein mag um irgendwelchen Kokolores zu verhindern, der uns aufgedruckt wird, kann aber auch durchweg schildbürgerhafte Blüten treiben. Im Zuge von Atom-Protesten und Stuttgart 21 schwangen sich somit auch eine Menge Trittbrettfahrer auf den Demonstranten-Zug (hmm, schönes Bild) und entdeckten, dass “Protest” auch sexy sein kann. Zumindest denken die das. “S21" hat zwar endlich wieder ein politisches Bewusstsein im politikverdrossenen Volke wach gerüttelt, das Problem ist aber, dass sich nahezu jeder berufen sieht dieses auch zu benutzen. Was dabei manchmal heraus kommt, hat eigentlich keine Bananenrepublik verdient.
Denn, was ist denn aktuell die gefühlt zweitgrößte Bedrohung der Bundesrepublik? Worum wird denn der größte Tamtam gemacht, wenn man mal vom “TERROR-ALARM-PANIK-ANGST-BEDROHUNGS-HORROR-FÜRST” aus dem Morgenland absieht? Ist es Stuttgart 21? Nein, das hat der Heiner derzeit ganz gut im Griff und es ist im Grunde genommen ebenso legitim wie Vorschlag Nummer 2: die Anti-Atombewegung. Nein, gefühlt ist derzeit der größte Feind der zivilen Freiheit und die gefühlte Geißel der bundesdeutschen Kleinbürgerlichkeit: Google Street-View! Das wird nicht etwa als technische Möglichkeit wahr genommen, nein, warum auch. Das ist das Böse, das wie der eisige Nordwind vom Autodach des Kameravehikels strömt um Mißgunst, Zwietracht und Leid im Volk zu säen. Bereits im Vorfeld wurde das Thema aufgeblasen, und in gewohnt deutscher Gründlichkeit auch die absurdeste Möglichkeit des Street-View Mißbrauchs erdacht. Fantasie haben wir hier ja, das muß man uns lassen. Die lächerlichste Variante in meinen Augen bestand darin, dass Einbrecher unsere Häuser online ausspähen könnten um den nächsten Raubzug zu planen. Niemand wäre in seinen eigenen vier Wänden auch nur ansatzweise sicher gewesen. Das Damoklesschwert der allgegenwärtigen Bedrohung wäre im virtuellen Raum jederzeit bereit gewesen uns in Form einer polnischen Gangsterbande auf das Haupt zu stürzen. Hektisch wurden bitterböse Widersprüche in die Tasten gehämmert und die vollständige Unkenntlichkeit von Heim und Herd eingefordert. Die Illusion der Sicherheit wurde quasi herbei gepixelt.
Auch bestand ja die Gefahr, dass man nebst KfZ auf der Straße fotografiert wurde und dann virtuell im Netz auftaucht... JEDER könnten einen dann sehen (theoretisch)... JEDER! Könnt ihr euch vorstellen, wie es sein muß, wenn jeder sehen kann, wie ihr an einer roten Ampel steht. Oder schlimmer: Wenn ihr einfach drüber lauft und Google euer schmutziges Geheimnis ans Licht der Öffentlichkeit zerrt. Da steht ihr dann für immer im virtuellen Raum, eurer verabscheuungswürdigen Untat angeprangert.
So, aber unserer gigantomanischen Protestwelle sei Dank, welche durch die Medien des ganzen Landes schwappte und bislang überwältigende 0,274% der Bevölkerung dazu brachte ihr Hab und Gut zu schützen hat dieses Schweinerei ein Ende. Und der Bürger obendrein das Gefühl, sich mal wieder so richtig gewehrt zu haben. Großkonzern, pfui! Komisch, gegen die wirklich Besorgnis erregenden Einschnitte in den Datenschutz regte sich in der Vergangenheit vergleichsweise wenig ziviler Widerstand. Auch wenn jetzt in der Terrorhysterie seitens der Bundesinnenminister-Konferenz die Vorratsdatenspeicherung wieder ausgebuddelt wird, interessiert das scheinbar keine Sau. Wahrscheinlich liegt es daran, dass das Zentralorgan der panischen Kleingeister, seinen Lesern Wörter mit mehr als 2 Silben nicht zumuten kann ohne von ihnen mit dem Vorwurf der Intellektualisierung konfrontiert zu werden. Und wer will das schon bei der BILD?!? Also wird auf die Verhältnismäßigkeit gepfiffen und gegen ein bei näherer Betrachtung belangloses IT-Projekt Stimmung gemacht, während weitaus “schlimmere” Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung durch gewunken werden.

Mal ganz pragmatisch betrachtet: was hat dieser Aufruhr uns gebracht: Verpixelte Gesichter, Nummernschilder und ein paar unkenntlich gemachte Häuser. Eigentlich nichts, was Google nicht ohnehin gemacht hätte. Schaut man sich ein paar Städte an, die man weltweit virtuell befahren kann, dann sieht man überall genau das. Nix Neues also, aber woher sollen das denn die geschätzten 94% des wütenden Mobs wissen, schließlich haben sie sich noch nie mit diesem Teufelszeug beschäftigt?! Wäre ja auch noch zu schön, wenn man am Ende noch gefallen daran finden sollte. Nein, dann doch lieber in der Illusion des moralisch überlegenen Gutmenschen schwelgen und weiterhin kontraproduktives Halbwissen vertreten.

Mich nervt sowas. Klar sollte man hinterfragen und zur da, wo es Sinn macht, auch mal ordentlich auf die Barrikaden gehen. Aber SINN muß es eben machen und nicht dazu führen, dass man das eigentliche Problem übersieht. Man muß sich mal Folgendes vor Augen führen: Während wir um jede erkennbare Fassade feilschen und in detektivischer Kleinstarbeit Fehler im Programm suchen um sie diesem bösen, bösen Großkonzern unter die Nase zu reiben, wird das virtuelle Deutschland nicht nur hässlicher, sondern auch noch langsamer vervollständigt. So kommt es dann, dass ich neben Seattle, NewYork und Berlin (um nur einige zu nennen) auch einen virtuellen Turn durchs finnische “Niemandsland” unternehmen konnte. War schon schön, mal durchs virtuelle Joensuu zu fahren und mal in Noljakka vorbei zu schauen um die eigene Ex-Behausung virtuell zu inspizieren. Wenn das jemand verpixelt hätte, ich hätte es persönlich genommen. Naja, Hauptsache wir werden hier alle zu biometrisch bevorratsdatenspeicherten Musterbürgern in anonymisierten Pixelhäusern, wer braucht da schon sowas nutzloses wie technischen Fortschritt?! Der erhöht eh nur die Terrorgefahr. Eine Frage hätte ich dann aber noch an all die Fassadenschützer und Wohnhausunkenntlichkeitsbeantrager da draußen, denen die Muffe immer noch vor virtuell organisierten Einbrecherbanden geht: Was macht ihr eigentlich, wenn die Typen einfach mal vorab bei euch vorbei fahren um eure Bude anzugucken? Richtig “Old School” sozusagen! Wem schreibt ihr denn einen Präventivbrief?

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